Friedenau bekommt ein Kind

   
Entwürfe von Grüntuch Ernst, Collignol und Libeskind

Im antiken Griechenland wurde erzählt, dass einst die beiden Gründer einer Stadt in einen solchen Streit gerieten, dass nach übereinstimmender Auffassung nur noch ein Gottesurteil in einem Zweikampf auf Leben und Tod diesen Streit beenden konnte. In diesem Kampf aber töteten sich die beiden Streithähne wechselseitig. Doch glücklicherweise verbündeten sich deren Geister noch während der Leichenverbrennung und wurden zur Überraschung aller zu einem noch berühmteren Orakel als selbst das berühmte von Delphi.

Ähnliches tut sich gerade in Friedenau. Nachdem bislang die Bürger über die angebliche Unfähigkeit der Politiker hergefallen waren und die Politiker umgekehrt den angeblichen Unverstand der Bürger betrommelt hatten, ist nun aus der Asche vergangener Kämpfe ein neuer Geist von Kooperation entstanden. Der private Käufer des Geländes zwischen den Bahnhöfen Bundesplatz und Innsbrucker Platz wurde nämlich vom Bezirksamt als dritter Geist im Bunde dafür gewonnen , in einer „Perspektivwerkstatt zur Nachnutzung des Güterbahnhofs Wilmersdorf“ gemeinsam mit Bezirk und Bürgern ein Konzept für eine neue Siedlung auf dem Gelände zu erarbeiten.

Nach zwei Werkstattgesprächen liegen nun die Karten auf dem Tisch: Drei Architekturbüros haben im Auftrag des vom Investor eingesetzten Moderators Professor Kohlbrenner in jeweils eigenen Entwürfen die Anregungen aus der Bürgerschaft  mit dem Beschluss der BVV in Beziehung gebracht, auf diesem Gelände eine weit überwiegende Wohnbebauung in sozial und ökologisch ausgewogener Ausgestaltung vorzusehen.

Wohnen an der Bahn

In allen Entwürfen soll der Lärm von Autobahn und S-Bahntrasse durch eine nach neuesten Erkenntnissen ausgeführte Schallschutzwand unschädlich gemacht werden. Wieder übereinstimmend, soll sich zum Gelände hin ein Gebäuderiegel anschließen, der allerdings mal einheitlich, mal im Höher-Tiefer-Wechsel, mal im verschachtelten Knautsch-Format angeboten wurde. Alle drei Entwürfe aber wollen sowohl hier als auch bei der übrigen Bebauung den Forderungen der Bürger  vor allem nach bezahlbarem Wohnen entgegenkommen. Gleichzeitig finden in allen Vorschlägen die Wünsche der Bürgerschaft nach verschiedenen Wohnformen Berücksichtigung. Immerhin waren unter den zweihundert Wortmeldungen auch Wünsche nach flexiblen Wohnungsgrundrissen, nach Mehrgenerationenhäusern, nach Gemeinschaftsräumen und nach Betreutem Wohnen laut geworden.

All das fand in den Entwürfen auf je eigene Art Berücksichtigung, denn der Investor Böge will solche Sonderformen durch Einzelprojektierungen auf der Grundlage von Einzelparzellierungen ermöglichen. Auch ein Studentenwohnturm und ein Seniorenheim erblickten daher das Licht der Welt. Und in Erfüllung der Wünsche von Eigenheimbastlern sollen sogar verschiedene Bauherrenmodelle angeboten werden, indem Baugruppen und Genossenschaften zugelassen werden sollen.

Am meisten differieren die Baumassenverteilung im Grüngürtel und das Verhältnis von öffentlichem und privatem Grün.  Zwar sehen alle Entwürfe fließende Übergänge vor, doch werden die mehr als 800 Wohnungseinheiten unterschiedlich angeordnet, strukturelle Angebote wie Cafe oder Kita  voneinander abweichend platziert. So will etwa das Büro Collignol Y-förmige Blöcke in das Gelände einstreuen, wodurch das grüne Areal für die Bewohner der angrenzenden Bennigsenstraße optisch geöffnet würde. Der Entwurf des Büros Grüntech Ernst verriegelt jedoch diesen Blick durch eine parallele Bautenreihe, schafft dafür aber eine größere Grünfläche in der Mitte und sieht sogar einen kleinen Teich vor, an dem vorbei, und zwar  in der Achse Lauterstraße, ein Weg bis zu einer Fußgängerbrücke in den Volkspark führen soll.

Das sieht aber auch der Entwurf des Büros Libeskind vor. Der bietet wohl auch die meisten Freizeitangebote, so etwa Volleyball im Grünen und ein Jugendzentrum in einem der Punkthäuser im Grünen. Glänzen tut dieser Entwurf aber mit einem komplett unter die Erde verlegten Autoparkhaus, das durch Oberlichter gut ausgeleuchtet wird und von allen Häusern aus direkt zu erreichen ist.

Querbeet strittig zwischen Bezirk, Bevölkerung und Planern blieb jedoch die Dimensionierung des vorzusehenden Parkraums. Während die einen für ein perspektivisch autofreies Friedenau plädierten, forderten die anderen sogar eine über den entstehenden Neubedarf hinausgehende Auslegung der Anlage, um auch den Alt-Friedenauern aus der Parkplatznot herauszuhelfen. Bei allem Streit sollte nicht in Vergessenheit geraten, dass es noch nie in der Weltgeschichte gelungen ist, mit ideologischen Vorgaben menschliches Verhalten dauerhaft zu steuern. Deswegen ist damit zu rechnen, dass die zukünftigen Bewohner des neuen Wohnareals für den Fall nicht ausreichender Parkmöglichkeiten ihre Autos nicht abschaffen, sondern die Parkplatzsuche in die bereits überforderte Umgebung verlegen würden. Widerstand erhob sich auch gegen die in allen Entwürfen vorgesehene Öffnung der ost-westlichen Erschließungsstraße an der Handyeristraße, auf deren Überlastung zu den Hauptverkehrszeiten mehrfach hingewiesen wurde.

Begrüßt wurde hingegen die Schaffung eines urbanen Eingangsbereichs an der Hauptstraße mit einem SB-Supermarkt an einem einladenden Stadtplatz. Dort sind nach den Vorgaben des Investors zudem ein Apartmenthochhaus und ein Lagerhochhaus für selbstverwaltete Mietflächen vorgesehen, wenngleich auf der anderen Seite des Geländes bereits ein solches Self-Storage  vorhanden ist. Diese Neugestaltung lässt immerhin die Hoffnung keimen, dass endlich ein städtebaulicher Ansatz gefunden wird, um die desolate Lage an der Hauptstraße umzukehren, und bis zum Innsbrucker Platz als dem Friedenauer Eingangstor den ganzen Bereich wieder aufzuwerten.

Friedenau weiterbauen

In einer aus der BI Breslauer Platz, der BI Bundesplatz und Teilnehmern der Werkstattgespräche gebildeten AG wurde zu den Vorschlägen ein achtseitiges Positionspapier erarbeitet. Darin wird in einer „Friedenauer Präambel“ gefordert, auf dem Gelände kein insulares „Wohnen im Park“ zu schaffen, sondern stattdessen das bestehende Friedenau weiterzubauen. Denn hier fühlen sich die Menschen gerade wegen der ausgewogenen Bebauung wohl. Hier stehen alle Häuser an Straßen. Die Eingänge sind oft besonders schön gestaltet. Straßenbäume und Vorgärten prägen das Stadtbild. Begrünte Stadtplätze schaffen hier zusätzliche Aufenthaltsqualität.

„Doch auf die Wiese gestreute Wohnhäuser sind das ausrangierte Muster eines Städtebaus der 1960er Jahre. In ganz Deutschland ist kein einziges behagliches Wohnquartier bekannt, das nach diesem Schema aufgebaut wurde.“

Otmar Fischer

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