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Jahrbuch 1999 für Steglitz - Sommerbad am Insulaner

11. Juli 1959: Ein Tag im Sommerbad am Insulaner

Der 11. Juli 1959 war ein Sonnabend, und ich saß hier in der Schulklasse 4b, während draußen die Sonne lachte. Die Wanduhr im Klassenzimmer zeigte 9.30 Uhr, noch fünf Minuten waren es bis zur großen Pause. Die Hitze im Raum steigerte sich von Minute zu Minute. Der Füllfederhalter in meiner Hand wurde immer schlüpfriger, und der Schweiß tropfte von meiner Stirn auf die Schreibheftseite. Endlich klingelte es zur Hofpause. Draußen war es kaum kühler als drinnen. Mein Freund Mecki kam mir entgegen. "Wenn bloß endlich die Schule aus wäre, ich schwitz' mich halbtot", meinte er zu mir.

"Meinste, mir geht's anders", gab ich zurück, "wenn ich zu Hause bin, greif´ ich mir gleich det Badezeug und ab ins Lufti", so nannten wir damals das Sommerbad am Insulaner.

Der Weg von der Schule nach Hause glich einem Marsch durch die Wüste Gobi. Unterwegs verabredete ich mich mit allen Freunden, in einer halben Stunde am Kottesteig mit Badeklamotten zu sein. Meine Mutter rannte in der Wohnung nur im Unterrock umher, auf ihre Frage, ob ich etwas essen wollte, antwortete ich "mach mir mal nur 'ne Flasche Himbeersirup mit Wasser verdünnt und eine Butterstulle fertig, ich fLitz´ gleich ins Schwimmbad". Ich packte derweil meine blaue Dreiecksbadehose und das ausgeblichene Handtuch mit der undefinierbaren Farbe ein. Gerne hätte ich auch so ein flauschiges, dunkelblaues Frottierhandtuch wie die Halbstarken gehabt, doch dafür hatten meine Eltern kein Geld.

Auf dem Weg zum Treffpunkt überprüfte ich noch mal, ob ich nichts vergessen hatte. Die Saisonkarte klemmte in der Vortasche des Beutels, doch wo war der Kamm? Noch mal zurück kam nicht in Frage. "Dann nehm' ich den von Fischi, der hat immer einen dabei wegen seiner langen Haare", sagte ich mir und lief weiter. Am Kottesteig angekommen, waren alle schon da.

"Mann, wo bleibste denn", rief Schmitti, "wir verbrennen uns schon die Füße auf dem heißen Pflaster. "Keen Wunder, wenn de barfuß bist, blaffte ich zurück. "Meine Mutter hat inne Nachrichten gehört, dasset schon fast 35 Grad draußen sind und das heute der heißeste Tag seit 1830 wird", meinte Jürgi. Die Schlange der Wartenden vor dem Schwimmbad erübrigte jede Antwort. Wir besaßen alle Saisonkarten, und so liefen wir mit spöttischen Blicken auf die Wartenden an der Schlange vorbei hinein. Sogleich zogen alle ihre Sandalen aus und hüpften quiekend den geteerten Weg zu den Umkleidekabinen hinauf. Die Sammelkabinen für Knaben und Männer war derart gerammelt voll, daß ich es vorzog, mich bei den Einzelkabinen anzustellen. Als die ersten meiner Freunde aus der Sammelkabine kamen, stand ich immer noch vor der Einzelkabine. Au komm doch", rief Mecki, "wir wollen Einkriege über Eck spielen". "Bin gleich da", rief ich zurück, da in diesem Moment eine der Kabinen frei wurde.

Die Einzelkabinen waren ziemlich eng und oben mit Maschendraht überspannt, damit keiner in die danebenliegenden Kabinen schauen konnte. Doch es gab Kabinen, da hatten welche Löcher in die Holzwände gepuhlt, und in genauso einer befand ich mich jetzt. Natürlich hatte ich das vorher gewußt, denn diese Kabine war der Geheimtip von den Halbstarken, wie ich in einem Gespräch belauschte. Es gab drei Löcher, in strategisch wichtigen Punkten in der Wand. Außerdem konnte man durch den Spalt am Boden erkennen, ob eine Frau in der Kabine war, erkennbar durch gelackte Fußnägel oder ein Mann. Die Löcher waren hervorragend mit Watte oder Papier getarnt, man brauchte es nur zu entfernen. In der Kabine neben mir ging es zu, wie in einem Taubenschlag. Mit einem Auge klebte ich fast an dem einen Loch, bis zu dem Moment, wo die Kabinentür aufflog und der Bademeister vor mir stand. Eh' ich mich versah, haute er mir eine runter, und mit hochrotem Kopf, meine Badesachen unter dem Arm, sauste ich aus der Umkleidehalle. In der Aufregung vergaß ich meine Sachen an der Garderobe abzugeben. So bekam ich auch nicht den grauen Stoffbeutel mit dem gelben Ebbinghaus- Aufdruck und das kleine goldfarbene Kettchen mit der Garderobennummer. Mit dem protzten wir immer, wenn anhand der Zahlen zu erkennen war, wer die niedrigste Nummer hatte.

Wir lagen immer auf den Steinterrassen am Schwimmbecken. Um uns den Weg durch das Fußbecken zu ersparen, drückte sich jeder durch das Gitter an der Treppe. Doch seit kurzem ging das nicht mehr, man hatte noch ein paar Stäbe dazwischen geschweißt. "Wo warst du denn solange?", fragten alle, aber da bemerkten sie auch schon meine geschwollene Wange und das rote Auge. "Biste wieder beim Löcherkieken erwischt worden, wa?" lachte mich Mecki aus. Schräg unter uns lagen die Halbstarken mit ihren Mädchen. Aus einem Kofferradio dröhnte in voller Lautstärke Paul Anka mit seinem "Lonely Boy", was wiederum den Bademeister auf den Plan rief. Doch auf seine Drohung hin: "Is det Ding nich gleich leiser, fliechtda alle raus", kam aus der Gruppe der Halbstarken nur der Spruch: "Jeh' doch nach Hause zu Muttern", was uns wiederum lauthals lachen ließ.

So richtig schwimmen konnte von uns noch keiner, nur Fischi, der war schon im Schwimmverein. Doch um Eckenzeck zu spielen, reichten mir meine Schwimmkünste. Inzwischen war meine Butterstulle zerflossen, und die Flasche mit dem Himbeersirup war so warm, daß sie nicht mehr genießbar war. Da erschien mein Freund Batti auf der Bildfläche. Heulend und sich die Wange haltend, erzählte er, daß ihn der Bademeister auf dem Dach der Damendusche liegend erwischt hätte. Ich zeigte ihm nur meine Wange, und wir mußten beide lachen.

Während der Badepausen spielten wir Karten: "51 tot", "Mau Mau" oder "66". Einige blätterten in Micky-Maus- oder Sigurd-Heften. Ich ließ mir im Vorraum der Toilette, vor dem Spiegel, von Battis älterem Bruder Peter zeigen, wie man eine "Ente" (damals sehr modisch) kämmt. Auf einmal entstand Aufruhr und alles rannte zum Sprungbecken. Da standen oben auf dem 5 m-Turm Eiko und seine halbstarken Kumpels. Verkleidet in alten Badeanzügen, sprangen sie ihre Quatschsprünge wie "Ente", "Badewanne" oder "Arschbombe" Wie viele der anderen Badegäste, so standen auch wir am Beckenrand und amüsierten uns köstlich, wenn sie dicht vor dem Beckenrand ins Wasser tauchten und dabei die am dichtesten Stehenden naß spritzten. Als ich auch mal so eine "Arschbombe", allerdings vom Beckenrand, probierte, verlor ich meine Dreiecksbadehose. Sehr zum Vergnügen meiner Freunde und der dabeistehenden Mädchen. Am späten Nachmittag trübte sich das Wasser im Schwimmbecken zusehends ein. Wir tauchten dann immer auf den Grund des Beckens, um nach verlorenen Gegenständen wie Ketten und Geld zu suchen. Langsam strömten die Leute den Umkleidekabinen zu, und das Bad leerte sich. Diesmal zog ich es vor, mit den Freunden in die Sammelkabine zu gehen. Der Blick des am Halleneingang stehenden Bademeisters beflügelte meine Schritte noch etwas mehr. In der Sammelkabine stank es wie immer höllisch nach Käsefüßen. Es war rappelvoll und ich mußte meine nasse Badehose im Stehen ausziehen, was gar nicht so einfach war. Auf einem Bein hüpfend, mit der nassen Badehose am Knöchel des anderen, stieß ich gegen irgendeinen fremden Schuh. Dieser schoß quer durch den Raum, was fast einen Tumult auslöste.

Total durchgeschwitzt kam ich zu Hause an. Doch nach einem kühlen Bad in der Wanne schlief ich erschöpft ein. Nicht mal die Geräusche der an- und abfahrenden S-Bahn vom Bahnhof Südende, welche ich immer bei geöffnetem Fenster hörte, nahm ich an diesem Abend wahr

Michael Lorenz