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Jahrbuch 1999 für Steglitz - Stadtbad Steglitz, Bergstraße

Stadtbad Steglitz, Bergstraße

Als der Gemeindevorsteher Buhrow nach eineinhalbjähriger Bauzeit mit zufriedener Miene am 8. Juli 1908 das neue Stadtbad vorstellte, war man sich in der größten Landgemeinde Preußens durchaus darüber bewußt, mit dieser Einrichtung der benachbarten Hauptstadt um einiges voraus zu sein. Es entstand nämlich nicht nur eine Schwimmhalle mit einem stattlichen Bassin von 9 mal 21 Metern aus marmorgefaßten Überläufen, in das man über eine breite ebenso marmorne Treppe hineinschreiten konnte oder unter der gegenüberliegenden Kuppel über ein Sprungbrett in 2,80 m Tiefe je nach Talent hineinsprang, nein, es wurde abgesehen von der obligaten Wannen- und Brauseabteilung eine Heilbäderabteilung präsentiert, die mit ihrem russisch-römischen Bad, mit ihren elektrischen Lichtbädern, Massagebänken und Therapiekabinen vom Feinsten war und außerdem modernstem Standard entsprach.

Vergleichbares fand sich in Berlin nicht als öffentliche Anstalt. Per Gesetz war es dem Magistrat 1893 verboten worden, Badeanstalten mit medizinischen Bädern und Dampfbädern errichten zu lassen, um die luxuriös ausgestatteten und bestens florierenden Privathäuser, wie das 1878 in der Lützowstaße eröffnete Kaiser-Wilhelm-Bad oder das 1888 mit Pomp und Trara in Betrieb genommene Hoffmanns Römerbad in der Zimmerstraße wirtschaftlich nicht zu gefährden. Schließlich hatte man seine Badegäste in der Stadtverordnetenversammlung.

Bekanntermaßen wurde die Landgemeinde, die zur Eröffnung ihres Stadtbades über 50.000 Einwohner zählte, nicht müde bei der königlich-preußischen Regierung um die ihr zustehenden Stadtrechte zu werben. Einer ihrer potentesten Unterstützer dürfte - "schreibste mir, schreibste ihr, schreibste auf MK-Papier" - der Papierfabrikant Max Krause gewesen sein, der der Gemeinde 1904 das langgestreckte Grundstück in der Bergstraße für den Vorzugspreis von 19 Mark pro qm veräußerte. Zuvor ließ er das hier von ihm 1888 über drei Höfe errichtete Missionsgebäude für vaterländische Vereine abtragen, sorgte aber dafür, daß die ansässige Gärtnerfamilie in ihrem bescheidenen Wohnhaus an der seitlichen Grundstücksgrenze ein Bleiberecht erhielt. Das Gebäude wurde in den späteren zwanziger Jahren abgetragen. Für Gemeindevorsteher Buhrow eröffnete sich endlich die Gelegenheit, die städtische Infrastruktur weiterzuentwickeln, und er beauftragte die bereits 1902 eingesetzte Bäderamtskommission und den Gemeindebaurat Richard Blunck mit der Planung eines Stadtbades. Der Standort war günstig. Rückwärtig grenzte das Grundstück an das Güterbahnhofsgelände, seitlich an das der Berliner Vorort Elektrizitätswerke. Mit dem Stromversorger wurde die Mitbenutzung seines Gleisanschlusses für die notwendige Kohleanlieferung zur Speisung der Kesselanlagen vereinbart, sowie die Zurverfügungstellung von Kondenswasser, das bei der Stromgewinnung mit der Dampfmaschine entstand und sich für eine Vorwärmung des Badewassers eignete.

Die Bauaufgabe "Schwimmhalle" war vergleichsweise jung. Blunck orientierte sich daher auch an bestehenden Beispielen des Stadtbaumeisters Ludwig Hoffmann in der Oderbergstraße 1899 - 1902 und Baerwaldstraße 1898 - 1901 verbaut und der darin zur Ausführung gebrachten Gestaltung eines Großraumes aus der Tradition des basilikalen Kirchenbaus. Licht wird von hochgelegenen Fenstern eingefangen, ursprünglich farblich gefaßt und bis zum 2. Weltkrieg unterstützt von einer gläsernen Firstzone. Chorähnlich ist der Stirnabschluß als Apsis ausgebildet. Anstatt Seitenschiffe umgeben Galerien das Bassin, in denen Umkleidekabinen zur Aufstellung kommen. Nach außen eher als bescheidener Backstein- und Putzbau, auch "Fiskalarchitektur" genannt, offenbart sich in der Ausgestaltung der Bäder, insbesondere des russisch-römischen mit roten Granitsäulen, bronzevergoldeten Kapitellen und mosaizierten Wandbrunnen zeitgemäß wilhelminisch gesitteter Repräsentationsanspruch. In der Erstreckung der Parzelle folgen dem Hallenbau der dreigeschossige Bau der Heilbäderabteilung, anschließend als Gelenkbau die Wäscherei und daran gekoppelt bis an die Gleise gerückt Maschinenhaus und Werkstätten. Blunck und die Badeanstaltskommission sahen zur Ergänzung des großen Bassins ein zweites kleineres vor, das allein weiblichen Badegästen offen stehen sollte. Die Planung scheiterte in Anbetracht von veranschlagten 350.000 Mark Baukosten, die um weitere 100.000 stiegen für einen zweiten 40 Meter tiefen Brunnen sowie die Filteranlage für das wegen seines hohen Eisengehaltes doch nicht so geeignete Kondenswasser vom benachbarten Stromerzeuger.

In der Hungersnot während des 1.Weltkrieges wurde das Stadtbad zur Nutzung als Lebensmitteldepot geschlossen und mit der Schaffung von Groß-Berlin rückte die im Bezirk nach wie vor beabsichtigte Erweiterung des Stadtbades außerhalb der Prioritätensetzung des Magistrats. Fritz Freymüller engagierte sich als erster Stadtbaurat von Steglitz nachdrücklich für die bauliche Instandsetzung und Verbesserung des Stadtbades. 1926 wurde die Ergänzung der Heilbäderabteilung durch Petitionen an den Oberbürgermeister vor allem von Frauen erbeten. Freymüller teilte ihre Meinung. Die zweite Schwimmhalle hingegen, die immer noch im Gespräch war, wollte er lieber völlig modern an anderer Stelle errichten. Er überzeugte den Magistrat mit der Schließung des straßenseitigen Grundstücks durch einen viergeschossigen Neubau, um darin im Erdgeschoß Friseur und Gastronomie, in den Obergeschossen Bäderverwaltung respektive Gesundheitsamt sowie Wohnungen unterzubringen. Die Mittel wurden 1928 freigegeben und innerhalb eines Jahres verbaut, die 200.000 Mark für den zweiten Teil - die Erweiterung der Heilbäder - wurden am 19.10.1929 gesperrt. Freymüller notierte handschriftlich: "Es steht zu befürchten, daß die gesamte Summe sehr lange gesperrt bleibt". Fünf Tage später kommt es zum schicksalhaften Zusammenbruch der New Yorker Börse. Erst 1935 bewilligt der Berliner Oberbürgermeister auf Anraten des unter neuen Vorzeichen eingerichteten Hauptgesundheitsamtes einen kompletten Umbau des Steglitzer Stadtbades.

Wir wünschen dem Bad, daß es in seiner Gesamtheit aus sportlich- vergnüglichem Badeangebot und den zur Zeit schlummernden physiologischen Einrichtungen wieder im alten Glanz erlebbar gemacht wird.

Dr. Jörg Rüter