Jahrbuch 2001 für Steglitz -
Vom Berliner, der nach Lankwitz wanderte - Fiktion eines mittelalterlichen
Reisewegs
Wollte
man heutzutage von der Berliner Stadtmitte zur Lankwitzer Dorfaue gelangen, so
wäre das kein Problem. Neben dem direkten Weg auf dem dichten Straßennetz -
notfalls auch zu Fuß - gibt es neben Zweirad und Kraftfahrzeug genug Omnibus-,
und U-Bahnlinien, um das Ziel schnell zu erreichen.
Dem Menschen des Mittelalters stand dafür nur eine direkte Wegstrecke zur
Verfügung. Mit Beschreibung einer fiktiven Wanderung soll versucht werden,
einen Berliner (nennen wir ihn statt Johannes einfach Hans) auf seinem Reiseweg
zu begleiten, um seinen Vetter, einen Fischer, auf dem Hohen Teltow zu besuchen.
Viele der dabei gegangenen Straßen sind heute noch auf den Stadtplänen
erkennbar.
Hans, ein in der Mittelstraße wohnender Knochenbauer aus einer der "Viergewerke-Zünfte",
schnürt früh sein Bündel mit Wegzehrung, nimmt seinen Knotenstock und folgt
der zum alten Markt führenden Gasse. Auf dem Nikolaikirchplatz stehen noch
immer die Hütten der Handwerker für die Vollendung des von Albrecht dem Bär
gestifteten Baus der St. Nikolaikirche, ein Heiligtum des Patrons der Schiffer,
Nicolaus.
Auf dem Molkenplatz - Schnittpunkt des Ein- und Ausfuhrhandels - ist gerade
reger Markttag und er muss sich zwischen Kiepen und Körben voller ländlicher
Erzeugnisse der anbietenden Bauernfrauen mühen, die vom Barnim und über den
Mühlendamm aus dem Teltow kommen. Zwei Zunftgesellen rufen ihm zu, wohin denn
die Reise ginge? Und ob er wohl heute Abend zu einem Bernauer Bier zurück sei?
Hans winkt lachend ab, er werde sich beeilen! Am mit Brettern eingefassten
Ziehbrunnen sind wie üblich Frauen mit ständigem Wasserholen beschäftigt.
Schon beim kurzen Weg über den Mühlendamm sieht er dem betriebsamen Schauplatz
eines lebhaften Handelvertreters zu. Auf der Spreebrücke, die die Städte
Berlin und Cölln verbindet, bleibt er kurzzeitig stehen, um auf die Mühlen
hinunter zu sehen. Drüben am Ufer befindet sich die Umschlagstelle für die
dickbauchigen Kähne, die Kaufmannsware auf dem Wasserweg von und nach Berlin
und wegen des Stauwehrs die Güter umladen müssen. Alle Händler, auch die zu
Lande, sind gezwungen, ihre Güter einige Tage auf dem Stapelplatz eines
Kaufhauses "niederzulegen" und zuerst den Städtern - wegen Ersparnis
der Lagergebühren zum dadurch günstigen Preis - anzubieten. Auf der
Gertraudenstraße geht Hans weiter zum Cöllnischen Fischmarkt mit der
Pfarrkirche St. Petri. Am südlichen Ende der Gertraudenstraße verlässt er die
Stadtbefestigung über die Teltower Torbrücke. Diese Brücke über den
Spreeseitenarm ist nach der Schutzpatronin der Spitäler und Wanderer, der
Heiligen Gertraude benannt.
Nun befindet sich Hans auf dem Berlin-Cölln mit der Salzmetropole Halle
verbindeten Handelsweg. Darüber geht der Berliner Tuchhandel nach Sachsen, aus
Sachsen kommen dafür Wein, Wild, Mühlsteine und Kramwaren. Noch einmal sieht
er in der Cöllner Vorstadt die Klosterkirche mit dem Gertraudenspital, dessen
Markt von den Berlinern nur kurz "Spittel" genannt wird. Inmitten des
Handels- und Reiseverkehrs schreitet Hans nun kräftig aus, die Begegnungen mit
Fahrzeugen, Reitern und einander grüßenden Wanderern bietet immer wieder
Abwechslung.
Nach kaum einer Stunde führt die Straße durch das dem Spandauer
Benediktinerinnen-Kloster abgabepflichtigen Dorf Sconenberch; doch er meint, zur
Rast ist es noch zu zeitig. Die Straße geradewegs weitermarschiert tauchen
schon die Hütten des Dorf Stegelitz vor ihm auf. Beim ersten der wenigen
Häuser setzt sich Hans am Straßenrand nieder und packt seine Wegzehrung aus.
Dem Dorf gegenüber erhebt sich ein mit Fichten bewachsener Hügel, sicher
hätte man von dort oben bereits einen weiten Blick bis zu seinem Ausflugsziel.
Nun muss Hans die Handelstraße verlassen, er biegt auf einen einfacheren Weg
ein, der schon lange eine wichtige Verbindung der Wenden zwischen Brandenburg
und ihrer Burg Köpenick war. Gleich geht es einen Hügel hinauf; von dort
erblickt er in der Ferne raue und bewandelte Berge sowie davor eine
langgestreckte Seenplatte; die erhoffte Sicht zum gesuchten Dorf ist jedoch noch
durch Wälder versperrt.
Am Fußende des Hügels verzweigt sich die Straße und er überlegt, welcher Weg
wohl der richtige sei? Zufällig kommt ein Bauer vorbei, den er um Auskunft
bittet. Aus dem gebrochenen Deutsch kann er die Wörter "Mergendorp"
und "Lonkovica" heraushören und folgert daraus, dass der rechte
Abzweig wohl der richtige sei. Der Weg, teilweise nur ein Pfad über das
sumpfige Seengelände mit hölzernen Stegen, zeigt sein Ziel noch immer nicht
an. Doch nach nochmals einer Anhöhe sieht er in einer Mulde die gesuchte
Siedlung liegen, wie zur Begrüßung läutet es gerade vom Glockenstuhl des aus
Feldsteinen errichteten Kirchleins. Nach dem Passieren des Palisadentors fragt
er zwei vorbeikommende Frauen nach seinem Vetter. Sie weisen über das Dorf
hinaus zum Upstall, dort hinten am Wuckensee werde er ihn wohl finden. Die
Freude des Wiedersehens ist groß und nach einem Rundgang über die Dorfaue gibt
es ein leckeres Fischmahl und viel zu erzählen. Sein Vetter meint, es sei wohl
sicher, wenn Hans noch vor Einbruch der Dunkelheit zurück ginge, denn in diesem
unwegsamen Sumpfgelände könne man leicht den Pfad verpassen. Nach
Verabschiedung und Bitte um einen Gegenbesuch verläuft der Heimweg jetzt
schneller, so dass er in der Abenddämmerung wieder das Teltower Tor
durchschreitet. Das Handelsleben am Mühlendamm ist immer noch rege, nur de
Markt an der Nikolaikirche hatte sich längst aufgelöst. Aber nun freut sich
Hans nach dem langen Marsch über Kopfsteinpflaster und Sandwege auf das
kräftige Bernauer Bier im Kreise seiner Zunftgesellen.
Heinz Becker
Bild: Marktstand |