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Jahrbuch 2001 für Steglitz -

Der Bunker - Ein Steglitzer Kriegsrelikt erwies sich beim Abriss als zäher Brocken

Drei Wochen waren ein bisschen knapp bemessen, um ein rund 60 Jahre altes Relikt des Zweiten Weltkrieges in Steglitz zu beseitigen. Die Baufirma, die den Bunker an der Ecke Gravelotte- und Johanna Stegenstraße abreißen sollte, hatte an dem Eisenbeton-Klotz ganz schön zu knabbern. Gleich zu Beginn brach ein über armdicker Meißel einer Ramme mitten durch. Aber schließlich war es geschafft: Aufatmen bei den Arbeitern - und en Anwohnern. Der Abrisslärm war doch beträchtlich gewesen.

Nun wird an der Stelle des Bunkers ein Haus mit 26 Eigentumswohnungen errichtet. Einige weinen dem Bunker eine Träne nach. Der künftig verbauten Aussicht von ihren Fenstern wegen - von einem Biotop rund um dem Bunker die Rede. Nüchterne Naruren sprachen von einer Dreckecke. In der Tat, manch Unrat war hinter der Bunkereinzäunung gelandet...

Bevor am 22. Januar mit den Abrissarbeiten begonnen wurde, hatte der Journalist Eberhard Bergmann noch einmal Gelegenheit, in den Bunker zu steigen. Er hatte dort als zehnjähriger mit seiner Mutter in Kabine drei Ende April 1945 den Ansturm der Sowjets erlebt.

Im Schein einer Taschenlampe zeigt er seinen Begleitern, wo damals vor knapp 56 Jahren die verängstigten Menschen in den engen Kabinen hockten, in den Gängen auf Stühlen saßen, oder auf dem nackten Betonboden. Er erkannte den Dienstraum des Bunkerwarts wieder, die Gasschleusen. Unter den Schuhen gluckst Wasser, damals war der Bunker trocken. Die Rohre an der Decke sind verrostet, die Kabinentüren fehlen, auch die Doppelstockbetten...

Endkampf um Berlin. In dem Steglitzer Bunker war davon wenig zu spüren. Die Kämpfe im Steglitzer Stadtpark und in den angrenzenden Häusern und Ruinen vollzogen sich für die Bunkermenschen gedämpft, beinahe lautlos. Nur schwere Einschläge in der Nähe waren zu hören und zu spüren: Der Bunker bebte. Und dann waren sie plötzlich da, die ersten Russen. Vier, fünf Soldaten in braunen Uniformen liefen schweigend durch die Gänge, blickten in die Kabinen auf die verängstigten Gesichter der Bunkerinsassen, hasteten weiter. Keine Uhr wurde geraubt, das später so gefürchtete "Frau komm" blieb ebenso aus. Erstes aufatmen. So schlimm scheinen sie nicht zu sein.

Der Bunkerwart, Herr Damm, ein armamputierter Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkrieges, kam durch die Reihen und berichtete. Er sei in russischer Gefangenschaft gewesen und spreche ein wenig russisch. Die Soldaten hätten ihm befohlen, eine weiße Fahne am Eingang rauszuhängen. Das hätte er mit einem Stück Lacken gemacht. Nun sei der Krieg wohl für uns vorbei.

Dann plötzlich schreckt eine gewaltige Explosion die Menschen hoch. In den Bunker, unweit des Einganges, war eine Granate eingeschlagen. Staub wabert durch die engen Gänge; es riecht nach Sprengstoff. Angstvolle Schreie, Kinder weinen. Dann hört man raue Rufe. Wieder kommen Russische Soldaten in den Bunker, diesmal gestürmt, Waffen im Anschlag. Die Befehle sind barsch: Raus! Raus! Aber es gibt keine brutalen Übergriffe. Grelle Sonne blendet die Bunkermenschen, von denen viele schon längere Zeit kein Tageslicht mehr gesehen haben. Vor einer Bunkerwand werden die Frauen und Kinder zusammengetrieben. Oh Gott. Wir werden alle erschossen! Schreie, Weinen, verzweifelte Rufe. Eine Schwangere verliert plötzlich die Nerven, rennt los. Ein Soldat holt sie zurück. Ohne zu schießen. Ein Wunder!

Aus dem nahegelegenen Birkbuschgarten, einem Häuserblock, setzt Gewehrfeuer ein. Geschosse spritzen auf den damals noch unbefestigten Wendekreis der Gravelottestraße. Die Russen drängen sich nun ganz dicht an die Deutschen heran, um durch die Bunkerwand in den toten Winkel zu gelangen. Sie halten ihre Maschinenpistolen über die Köpfe und erwidern blind das Feuer. Auf die Frauen und Kinder prasseln die Patronenhülsen nieder. Dann ebbt der Beschuss plötzlich wieder ab.



Zum Bunkerinneren vor der sogenannten Gasschleuse

Eine laute Frauenstimme ist zu hören! Eine Männerstimme erwidert etwas. Die wartenden Menschen verstehen von der russisch geführten Debatte kein Wort. Aber sie sehen und hören, wer da redet. Es ist Maria Klaffki, Mitinhaberin des Birkbuschgartens, eine gebürtige Russin, die 1917 während der Oktoberrevolution mit den Eltern nach Deutschland geflüchtet war.
Dieser Frau gelingt es schließlich, einen russischen Offizier davon zu überzeugen, dass die Bunkerinsassen harmlose, wehrlose Menschen sind. Die Bunkerinsassen verdanken ohne Frage alle dieser beherzten Frau das Leben. Ein lautes Kommando erschallt:" Dawei, weggg nach Haus!" Die Menschen stoben auseinander.
Manche müssen an Leichen vorbei. An der Gravelottestraße Richtung Park liegen leblos ein paar Volkssturmmänner. Und zwischen Büschen an der Barskowstraße - heute ist dort ein kleiner Spielplatz - liegen offenbar gefallene Russen.
An der Klinsorstraße sieht man einen russischen Panzer, die Kanone immer noch drohend auf dem Bunker gerichtet. Erst nach und nach - von Augenzeugen aus den Häusern des Beamtenwohnungsvereins - erfahren die Menschen, was dem Beschuss des Bunkers und der Erstürmung voran gegangen war.
Nachdem die weiße Fahne an der Bunkertür hing, näherte sich ein Trupp Russen ohne jede Deckung dem Bunker. Plötzlich wurden sie vom Bunkerdach aus beschossen. Hinter den Entlüftungstürchen auf dem Dach hatten sich deutsche Soldaten verschanzt und auf die arglosen Russen das Feuer eröffnet. Darauf wurde von den Sowjets der Panzer zur Unterstützung geholt. Die Soldaten waren längst vom Bunkerdach geflüchtet.
Nach dem Kriege diente der Bunker kurze Zeit als Lebensmittellager. Davon kündete die Inschrift :"Die Ernten der Erde verteilt der Handel". Die Inschrift erwies sich indes nicht so zählebig wie die aus der Kriegszeit: "Ruhe bewahren! Nicht drängen! Den Weisungen der Polizei und der Ordner Folge leisten." Diese verschwand endgültig erst mit dem Abriss.


Eberhard Bergmann

Bild1: Der Abriss hat begonnen. So sah die Bunkerseite an der Gravelottestraße nach knapp 2 Wochen aus.