Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Jahrbuch 2001 für Steglitz -

Heimkehr

Über 60 Jahre bin ich nicht wieder die alten hier gewesen. Und nun gehe ich wieder die alten Wege meiner Schulzeit. Nach der furchtbaren Bombennacht am 23. August 1943 stand ich vor dem Haus, in dem ich bis zu meiner Heirat mit meiner Mutter gelebt hatte. Nichts war so geblieben- was nicht zerstört wurde, war von fremde Menschen ausgeraubt worden, genau so, wie in meiner letzten damaligen Wohnung in Wilmersdorf zur gleichen Zeit. Ich mochte von da an Steglitz nicht mehr wiedersehen. Es war mir zu schmerzlich. Ich dachte an das Lied: "In meine alte Heimat kam ich wieder hin. Doch alles war ein Anderes doch...., die du geliebt, sind fortgezogen, du find´st sie nimmer, nimmer mehr".

Und nun stehe ich vor dem Haus, in dem ich einmal gewohnt habe, das wieder instandgesetzt ist. Wie alles ringsum. Ich erinnere mich an Menschen, die gute Nachbarn und Freunde gewesen waren. Da wohnte zum Beispiel das Ehepaar Rosener. Um ihren niedlichen kleinen Sohn hatten sie in jeder Bombennacht so große Angst, dass sie sich entschlossen, ihn zu Verwandten in eine kleines Dorf am Rhein zu bringen. Kaum war er dort, schon ereignete sich das furchtbare Unglück. Ausgerechnet dieser winzige Ort wurde in einer Nacht völlig zerstört. Wölfchen, mit dem ich oft in der Sandkiste hinter dem Haus gespielt hatte- ich liebte kleine Kinder - war tot.

Ich ging weiter. Hier war einst ein Bäckerladen an der Ecke gewesen. Wie oft bin ich da ein- und ausgegangen, um einzukaufen. Und immer, wenn ich meine Schulfreundin hier zufällig traf, gingen wir da hinein. Eine "Schillerlocke" aß Hildchen so gern. Hildchens Vater war Jude. Als ich den Hausmeister, der vor dem Krieg in ihrem Haus arbeitete, nach der Familie fragte, erfuhr ich: "Die SS hatte die Eltern in der Wohnung gepackt, Hildchen- damals gerade 20 Jahre alt geworden- war uns dem Fenster gesprungen. 3. Stock - tot -.

Immer diese Erinnerungen. Gab es denn nichts anderes? - Ja, doch! Der Bäckerladen! Heute ist dort die Markus-Apotheke. Frau Große war die damalige Geschäftleiterin. Ihr Ehemann und ihr Schwiegervater betrieben den Backbetrieb in Steglitz. Frau Große war eine tüchtige, gute Frau. Als ich eines Tages, noch vor dem krieg, dort eintrat, sah ich sechzehnjährigen, daß Frau Große weinte. "Warum"? fragte ich. Sie antwortete: "Zahnschmerzen, wahnsinnige Zahnschmerzen"! "Warum schließen Sie nicht einfach ab und gehen zum Arzt?" "Mein Schwiegervater ist sehr streng. Das kann ich mir nicht erlauben". Kurzentschlossen schlug ich ihr vor, ich wolle sie vertreten. Brot und Brötchen - kein Problem. Nur natürlich der äußerst vielfältige Kuchen musste mal pause machen. "Gehen Sie rach!" sagte ich. Und Sie ging zum Zahnarzt. Nach einer Stunde kehrte sie glückstrahlend zurück. Sie bedankte sich herzlich.

Krieg- Nachkriegzeit- schwere Zeiten! Ich stehe mit meinen drei kleinen Kindern frierend an eine Straßenbahnhaltstelle in Rostock, wohin mich das Schicksal vertrieben hatte. Eine Frau schaut mich unverwandt an. Plötzlich kommt sie auf mich zu. "Entschuldigen Sie, waren Sie nicht mal Christel Marschner?" Da erkenne ich sie: "Und Sie sind Frau Große". "Sage ich hocherfreut. Sie erzählt mir, dass sie auch ausgebombt worden waren, dass die Bäckerei des Schwiegervaters in Trümmer ging, dass sie nach Rostock "flüchteten", weil ein Onkel ihres Mannes hier Bäckermeister ist, dass sie aber das Schlimmste überstanden hatten und in drei Tagen wieder nach Berlin zurückkehren wurden. Dann kam sie auf das "Zahnarzterlebnis" zurück und wiederholt, wie unwahrscheinlich dankbar sie mir heute noch sei. - Sie fragte, ob ich am nächsten Tag mit meinen Kindern zum Kaffee zu ihr kommen könne.

Man stelle sich vor - im Winter 1946 bei einer Bäckerfrau zum Kaffee eingeladen zu sein! Es war wunderschön! Meine Kinder- zweieinhalb bis acht Jahre alt - stopften den Kuchen in sich hinein - sie kannten ja gar keinen. Ich schämte mich richtig, aber Frau Große hatte volles Verständnis. Es war ein, damals, einmaliges Erlebnis. Oft denke ich daran zurück.

Und nun stehe ich hier an der Ecke Stindestraße und weiß, dass meine Mutter mit ihren vielen gesammelten Aussprüchen und Zitaten doch häufig recht hatte. Zum Beispiel: "Mach anderen Freude. Du wirst erfahren, dass Freude freut". "In ganz anderer Stimmung ging ich nach diesen Erinnerungen die Albrechtstraße entlang. Es wurde eine Heimkehr im wahrsten Sinne. Ich war zu mir selber zuruckgekehrt.

Sehnsucht nach Berlin
Is och der Jrunewald jeschoren,
der Kudamm janz kaputt,
hab ick och Hab und Jut verloren,
liegt och meen Haus in Schutt,
sind och de Türme abrasiert,
de Linden nich mehr jrün,
sind ganz Straßen wegradiert,
Balin bleibt doch Balin.

De Panke fließt und och de Spree,
de Havel zieht dahin.
Et lebt ja noch der Müggelsee
mit seine Inseln drin.
Et lebt ja noch det alte Herz,
und bleibt, wie immer, jut,
det lebt erst recht nach Angst und Schmerz
verliert nicht seinen Mut.

Et bleibt ja noch Humor und Jeist
und och Balins Jemiet,
der Schwung, der jede Sache schmeißt,
der Blick, der alles sieht...
Balin, du lebst ja och in mir,
ick war da doch mal kleen.
Et jibt so Stunden, wo ick spür,
"Ick möcht´ zu Hause jehn... "

Christiane Bach

Bild: Stindestraße Ecke Albrechtstraße  mit Blick auf die Markuskirche