Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Jahrbuch 2001 für Steglitz -

Ein besonderes Erlebnis an der Kaisereiche
Grässliche Erinnerungen an eine Bombennacht

Immer, wenn ich an der Kaisereiche in Friedenau vorbei komme, muss ich an ein Ereignis denken, das ich als 15-jähriger Schüler erlebte und dass einen noch heute erschauern lässt. Es war der 30. Januar 1944, etwa 21 Uhr. Wie schon so oft verstummte plötzlich die im Drahtfunk tickende Uhr und eine stimme gab bekannt:

"Hier ist der Divisionsgefechtsstand Berlin. Feindlich Bomberverbände befinden sich im Raum Hannover-Braunschweig mit Ostkurs. Wir kommen wieder. "Tik-tik-tik...".

Dieser Nachricht Bedeutete stets, sich fertig zu machen zum Gang in den Luftschutzkeller, denn bald ertönen danach die Sirenen. So auch an jedem Tag. Wir begeben uns mit dem wichtigsten Gepäck schnell in den "behelfsmäßigen Luftschutzkeller" unseres Hauses in der Kaiserallee 96. Es dauert nicht lange, ehe die englischen Flugzeuge über uns sind und ihre todbringende Ladung abwerfen. Es knallte und krachte ziemlich nah, der Boden bebte mitunter, und wie so oft sitzen die Leute im Keller schweigend, ängstlich zusammengekauert und wartend, dass dies vorüber geht.

Es ging vorüber, wir hören den langanhaltenden Sirenenton, der "Entwarnung" bedeutet. Wir können den Keller verlassen und sehen unser Haus und die Umgebung noch intakt, wenn auch wieder viele Fensterscheiben zerstört sind. Mein Vater sagte zu mir "komm, wir gehen mal sehen, was hier in der Nähe passiert ist". Und so zogen wir die Rheinstraße hinunter, sahen verschiedene Bombenschäden, Einzelheiten hiervon sind mir nicht mehr erinnerlich, umso mehr aber das folgende.

Unser Weg führt zur Kaisereiche, deren süd-östliche Bebauung so ähnlich ist wie auf dem Bild von heute. Wir beide stehen etwa dort, wo auf dem Bild das Verkehrsschild zu sehen ist. Mein Vater weist mich auf "seine" Commerzbank hin und sagt mit Blick nach oben "Guck mal, die hat kaum etwas abbekommen". Plötzlich erfolgt ein kurzes Zischen und ein ungeheurer knall, ein Sturm, eine Staub- und Dreckwolke, Vater nicht mehr zu sehen, aber bald hörte ich ihn "was ist dir passiert". Und ich antwortete "Nichts, nur der Hut ist mir weggeflogen". 

Was war geschehen? Einer der abfliegenden Bomber kam noch mal zurück und warf in die entwarnte, viele Orts brennende Stadt einige Sprengbomben. Einen davon ging unmittelbar neben der Kaisereichen-Eiche nieder und detonierte. Ein neben der Eiche stehender Polizist war sofort tot, während Vater und ich offenbar in einem toten Winkel standen, in dem außer dem Luftdruck keine Sprengteile wirksam wurden. Nach Schocküberwindung begaben wir uns natürlich sofort zurück zu unserer Kaiserallee, doch hat sich hier grauenhaftes zugetragen:
Eine weitere Bombe dieses Separatflugzeugs ging auf der Schloßstraße gegenüber dem Bornmarkt (heute Forum Steglitz) nieder, viele dort stehende Bewohner wurden getötet.

Als wir unsere Wohnung erreichten, war meine Mutter, die ja gleich nach Entwarnung in die Wohnung ging, nicht zu finden. Sie hatte nach den beiden Detonationen in furchtbarer Angst um Mann und Sohn den Schreckensort aufgesucht, um uns zu suchen, wozu auch die Inspektion der dort umgekommenen Menschen zählt. Jetzt suchten wir sie und fanden sie schließlich. Zitternd und sprachlos fielen wir uns in die Arme, das Gefühl, noch mal davon gekommen zu sein, stellte sich erst später ein.

Nachsatz: 2 Monate später standen über der Ecke- heute Walther-Schreber-Platz- die "Weihnachtsbäume", also die Abwurfmarken der Bomber, und so wurde unser Haus ein Opfer von Brandbomben und einer Luftmine. Retten konnten wir uns aus dem zugeschütteten Schutzraum durch sog. Keller- Durchbrüche, die uns ermöglichten, in der Levéfrestraße ins Freie zu gelangen. - Ein neues Haus entstand, heute ist ein Postamt darin, und wo sich der tiefe Minekrater mit brennender Gasleitung in der Kaiser- heute Bundesallee vor dem Haus befand, fährt heute eine U-Bahn.

  

Dr. Fritz Zirner.

Bild 1: Ruinen in der Stierstraße nach dem Fliegerangriff vom 30. Januar 1944
Bild 2 und 3 Friedenau und Umgebung