Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Jahrbuch 2001 für Steglitz -

Bestattungskultur im Wandel


"Ein jeder soll nach seiner Facon selig werden", hatte der "alte Fritz" postuliert und meinte damit die Freiheit der Religionsausübung. Diese Form der Toleranz machte Preußen im 18. Jahrhundert attraktiv für Zuwanderer - beispielsweise kamen aus Frankreich die Hugenotten, weil sie ihren Glauben in Preußen praktizieren durften.
Aus der Tschechei kamen die Böhmen, deren Tradition in Religion, Denk- und Bauweise auch heute noch rund um den Richardplatz in Neukölln zu finden ist.

Was bedeutet Abschied nehmen in Würde? Jeder wird sich darunter etwas anderes vorstellen. Das kulturelle Erbe lehrt uns, dass der Abschied von Familie und Freunden mit der Aussegnung des aufgebahrten Toten im Sarg in einer Friedhofskapelle bei Orgelmusik stattzufinden hat. Der Pastor hält eine Ansprache, dann folgt die Prozession auf dem Friedhof, die Tränen, die letzte Rose, Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub.
Der Wertewandel innerhalb der Gesellschaft bedeutet nicht nur geringere Hilfsbereitschaft des einzelnen im jeweiligen familiären und nachbarschaftlichen Umfeld. Das Ausleben von Egoismus und Selbstverwirklichung als höchstes Gut des Menschen schlägt sich unter anderem in der auffällig hohen Zahl von Kirchenaustritten nieder - insbesondere bei den protestantischen Kirchen. Nur bei einem Viertel aller Trauerfeiern in Berlin nimmt ein Priester oder Pfarrer die Aussegnung des Verstorbenen vor. Damit steigt die Zahl der weltlichen Trauerfeiern kontinuierlich.

Wenn die gesellschaftlich anerkannten Werte - Ehe, Familie, Kirchenzugehörigkeit - dem Wandel unterliegen, ändert sich auch die Bestattungskultur. Im Zeitalter der Aufklärung wird auch dieses kulturelle Erbe der Tabuisierung entrissen und Stück für Stück entmystifiziert. Heutzutage sind Bestatter moderne Dienstleister und bei Bedarf auch einfühlsame Gesprächspartner. Letztlich müssen sie dem Zeitgeschmack Rechnung tragen, weil die Hinterbliebenen über die Art und Weise der Trauerfeier und die Beisetzung entscheiden.

Im Berliner Raum gewinnen die anonymen Urnenbestattungen auf der "grünen Wiese" an Bedeutung. Meistens gibt es eine Stele oder einen Gemeinschaftsgrabstein. Das ist ein zentraler Punkt, wo Angehörige Blumen ablegen können. Diese Wiese wird von der Friedhofsverwaltung gepflegt.  So werden die Angehörigen von allen Pflegearbeiten rund um das Grab befreit. Die Räumliche Nähe zur Grabstelle ist nicht mehr wichtig. Soziale Kontrolle wie in Dörfern oder kleinen Städten verliert für die Hinterbliebenen immer mehr an Bedeutung.
Beliebt sind Urnengemeinschaftsanlagen auf der grünen Wiese mit einer Stele oder einer Erdplatte als zentraler Punkt. Die Feuerbestattung in eher in Regionen verbreitet, die überwiegend protestantisch oder atheistisch geprägt sind. In den Großstädten beträgt deren Anteil rund 80%. Sogar im Landstrichen mit katholischer Bevölkerungsmehrheit hat die Zahl der Urnenbeisetzungen in den vergangenen Jahren signifikant zugenommen. Die Kosten für den Erwerb und den Unterhalt einer Grabstelle sowie für die Bestattung sind dabei deutlich günstiger als bei der traditionellen Erdbestattung. Bei der Zahl der Seebestattungen ist ein leichter Anstieg zu verzeichnen.

"Die Wünsche und Vorstellungen des Auftraggebers bestimmen die art und Weise der Trauerfeier. Manche Hinterbliebenen benötigen zur Bewältigung ihrer Trauer die traditionelle Grabstelle auf dem Friedhof, um dort in Ruhe des Verstorbenen zu gedenken", erzählt Herr Simonis vom gleichnamigen Bestattungsinstitut. Anderen reicht ein zentraler Punkt für die Blumenablage oder der Namenszug auf einer Stele. Daran wird jedermann deutlich, welcher Wertschätzung sich der Verstorbene bei Verwandten, Freunden und Nachbarn erfreute. Andere wiederum halten ihr Gedenken an die Toten zu Hause oder irgendwo draußen in der Natur ab. Jeder Mensch geht schließlich mit seiner Trauer ganz individuell um.

Darin wird auch ein veränderter Umgang der Menschen mit dem Tod ihrer Angehörigen deutlich. Familienverbände in ihrer historischen Form lösen sich auf und existieren nicht mehr. Die Art der Bestattung sagt demnach etwas über die Beziehungen seiner Freunde und Verwandte zu dem bzw. der Toten. Die Anonymität zu Lebzeiten fordert ihren Tribut. So findet die soziale Isolierung des einzelnen ihren Ausdruck in der Anonymität nach dem Tod. In Berlin bestehen zum Beispiel die Hälfte aller Haushalte ais einzigen Personen - da stellt sich die Frage nach der Pflege der familiären und der verwandtschaftlichen Beziehungen in der Großstadt. Haben Freundschaften mit einem neuen Netzwerk den Familienverband ersetzt?
Auch bei der Gestaltung der musikalischen Begleitung hat sich eine neue Tradition herausgebildet. Waren früher im Regelfall Kirchenlieder wie beispielsweise "So nimm denn meine Hände", "Trauermarsch", "Was Gott tut das ist wohlgetan" oder das "Ave Maria" angesagt, können heutzutage auch Volks- oder Opernlieder oder Stücke der jüngsten Rock- und Popgeschichte durchaus in Betracht kommen.

Damit der Verstorbene schon zu Lebzeiten Einfluss auf die Art und Weise seiner Trauerfeier nehmen kann, kann er eine testamentarische Verfügung treffen oder eine Bestattungsvorsorge bei einem Institut seines Vertrauens abschließen. Er vermeidet damit, dass Angehörige oder Bekannte zusätzlich belastet werden.

Reinhard Frede