Jahrbuch 2001 für Steglitz -
Bestattungskultur im Wandel
Was bedeutet Abschied nehmen in Würde? Jeder wird sich
darunter etwas anderes vorstellen. Das kulturelle Erbe lehrt uns, dass der
Abschied von Familie und Freunden mit der Aussegnung des aufgebahrten Toten im
Sarg in einer Friedhofskapelle bei Orgelmusik stattzufinden hat. Der Pastor
hält eine Ansprache, dann folgt die Prozession auf dem Friedhof, die Tränen,
die letzte Rose, Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub. Wenn die gesellschaftlich anerkannten Werte - Ehe, Familie, Kirchenzugehörigkeit - dem Wandel unterliegen, ändert sich auch die Bestattungskultur. Im Zeitalter der Aufklärung wird auch dieses kulturelle Erbe der Tabuisierung entrissen und Stück für Stück entmystifiziert. Heutzutage sind Bestatter moderne Dienstleister und bei Bedarf auch einfühlsame Gesprächspartner. Letztlich müssen sie dem Zeitgeschmack Rechnung tragen, weil die Hinterbliebenen über die Art und Weise der Trauerfeier und die Beisetzung entscheiden. Im Berliner Raum gewinnen die anonymen Urnenbestattungen auf
der "grünen Wiese" an Bedeutung. Meistens gibt es eine Stele oder
einen Gemeinschaftsgrabstein. Das ist ein zentraler Punkt, wo Angehörige Blumen
ablegen können. Diese Wiese wird von der Friedhofsverwaltung gepflegt. So
werden die Angehörigen von allen Pflegearbeiten rund um das Grab befreit. Die
Räumliche Nähe zur Grabstelle ist nicht mehr wichtig. Soziale Kontrolle wie in
Dörfern oder kleinen Städten verliert für die Hinterbliebenen immer mehr an
Bedeutung. "Die Wünsche und Vorstellungen des Auftraggebers bestimmen die art und Weise der Trauerfeier. Manche Hinterbliebenen benötigen zur Bewältigung ihrer Trauer die traditionelle Grabstelle auf dem Friedhof, um dort in Ruhe des Verstorbenen zu gedenken", erzählt Herr Simonis vom gleichnamigen Bestattungsinstitut. Anderen reicht ein zentraler Punkt für die Blumenablage oder der Namenszug auf einer Stele. Daran wird jedermann deutlich, welcher Wertschätzung sich der Verstorbene bei Verwandten, Freunden und Nachbarn erfreute. Andere wiederum halten ihr Gedenken an die Toten zu Hause oder irgendwo draußen in der Natur ab. Jeder Mensch geht schließlich mit seiner Trauer ganz individuell um. Darin wird auch ein veränderter Umgang der Menschen mit dem
Tod ihrer Angehörigen deutlich. Familienverbände in ihrer historischen Form
lösen sich auf und existieren nicht mehr. Die Art der Bestattung sagt demnach
etwas über die Beziehungen seiner Freunde und Verwandte zu dem bzw. der Toten.
Die Anonymität zu Lebzeiten fordert ihren Tribut. So findet die soziale
Isolierung des einzelnen ihren Ausdruck in der Anonymität nach dem Tod. In
Berlin bestehen zum Beispiel die Hälfte aller Haushalte ais einzigen Personen -
da stellt sich die Frage nach der Pflege der familiären und der verwandtschaftlichen
Beziehungen in der Großstadt. Haben Freundschaften mit einem neuen Netzwerk den
Familienverband ersetzt? Damit der Verstorbene schon zu Lebzeiten Einfluss auf die Art und Weise seiner Trauerfeier nehmen kann, kann er eine testamentarische Verfügung treffen oder eine Bestattungsvorsorge bei einem Institut seines Vertrauens abschließen. Er vermeidet damit, dass Angehörige oder Bekannte zusätzlich belastet werden. Reinhard Frede |