Jahrbuch 2001 für Steglitz -
Körner-Apotheke- 90 Jahre
"...
das ist ja noch eine richtige Apotheke!" Von Angehörigen der jüngeren
Generation wird meist staunend hinzugefügt, dass sie so etwas nur noch aus
Büchern kennen, und ältere Kunden erinnern sich verträumt an ihre Jugend, in
der es "solche Apotheken noch gab". Gelegentlich steht auch jemand nur
schweigend da, bevor dann Sätze fallen wie "Da haben Sie ja richtig was
schönes! Eiche massiv, ausgehender Jugendstil mit Biedermeier-Elementen. Wohl
Anfang des 20. Jahrhunderts? Tolle Arbeit... Bin nämlich Tischler...( - oder
Antiquitätenhändler oder Ähnliches...) - Geben sie davon bloß nichts weg;
das ist doch alles Handarbeit. Wohl Familienbesitz? "Nein, ist es
nicht.
Und der Apotheker erzählt:
"Das eigentliche Gründungsjahr ist laut Unterlagen das Jahr 1911. Und
damit ist die Apotheke heute 90 Jahre alt." Schmunzelnd fährt er fort,
dass da irgendeine Unstimmigkeit vorliegt: Theodor Körner nämlich, der Dichter
der Freiheitskriege (Mit Leier und Schwert), Kämpfer der Schwarzen Husaren in
den Freiheitskriegen gegen Napoleon, ist am 25. August 1813 bei Gadebusch im
Mecklenburgischen gefallen. Zu seinem 100. Todestag im Jahre 1913 sollte ihm zu
Ehren die Körner-Apotheke eröffnet werden. Und nun kamen zwei Dinge zusammen:
Der Bau des Hauses Hauptstr.71 in Berlin Friedenau wurde 1911
fertig. Parallel dazu wurde irgendwo in Berlin eine "fast neue"
Apothekeneinrichtung angeboten, weil- auch in der "guten alten Zeit" -
eine eben erst eröffnete Apotheke durch Anlaufschwierigkeiten nicht so recht
"in Schwung" kam und daher geschlossen wurde. Die gesamte Einrichtung
dieser Apotheke übernahm der Apotheker Alfred Schmidt, und er ließ sie in die
bereits als Apotheke konzipierten Räume des Hauses Hauptstraße 71 einpassen.
Und DAS war dann somit- Theodor Körners Todestag hin oder her - die
Geburtsstunde der Körner-Apotheke im Jahre 1911 - und nicht, wie ursprünglich
geplant, zum 100. Todestag von Theodor Körner im Jahre 1913.
Das waren noch Zeiten... Aber diese Ereignisse erlebte der Gründer der
Körner-Apotheke Alfred Schmidt zum Teil leider nur auf dem Krankenbett, an das
er durch eine langwierige Krankheit, die erst mit der Erfindung des Salvasar
beherrschbar wurde, gefesselt wurde. Seine tüchtige Frau brachte die Apotheke
zusammen mit einem Provisor über den ersten Weltkrieg, die harten Zeiten der
Inflation und die Weltwirtschaftskrise.
Eine für heute - und wohl auch damalige Verhältnisse - etwas
ungewöhnliche Apothekenführung wurde Hitlers "Machtergreifung"
beendet. Der Apothekenbesitzer Alfred Schmidt war längst verstorben. Die
Apotheke hätte nach seinem Tod verpachtet werden können, wenn ein in der
Ausbildung zum Apotheker befindlicher Nachkomme zur Verfügung gestanden hätte,
um sie zu übernehmen. Da dies jedoch nicht der Fall war, hätte sie im Zuge der
Personalkonzession verkauft werden müssen. Aber sie wurde einfach weiter
betrieben. Damit "räumten" Die Nationalsozialisten erst einmal auf.
Sie setzten einen Apotheker ihrer Wahl, einen Apotheker Dr. B., als
Apothekenleiter ein.
Aus den Zeiten des "Dritten Reiches" ist wenig zu Berichtendes
überliefert, denn eigentlich finden sich keinerlei Aufzeichnungen. Es scheint,
dass diese unrühmliche Epoche deutscher Geschichte, die mit dem totalen
Zusammenbruch endete, gerade für die "stockkonservativen" Friedenauer
eher ganz schnell ad acta gelegt wurde.
Eine der wenigen noch aufgefundenen Fotografien zeigt die Körner Apotheke in
typischen Nachkriegszustand. Alle vier Schaufenster waren zugemauert. Das Haus,
lediglich mit einem geringen Bombenschaden im Dachgeschoss, hatte die
fürchterlichen Angriffe der alliierten Luftstreitkräfte überstanden, die
Schaufensterscheiben dagegen nicht. Wie damals (zwangläufig) üblich, wurden
sie einfach "in Lichtbauweise" zusammengemauert. Eine einfache
"Durchreiche" in der Tür war geblieben. Und die wenigen Medikamente,
die aus Militärbeständen, vom Roten Kreuz und aus Krankenhausapotheken stammt
an, wurden in Zentraldepots gesammelt und auf die knapp 40 % der nach dem Krieg
einigermaßen funktionsfähigen öffentlichen Apotheken über weite, manchmal
abenteuerliche Wege herangeschafft und verteilt.
Zum Leiter der Apotheke wurde nun der Apotheker Dr. Otto
Schonewille eingesetzt. Er besaß zusätzlich die Holländische
Staatsbürgerschaft, obwohl er in Deutschland aufgewachsen war. Das passte gut
in die damalige allgemeine Misere: Ein Apotheker, Holländer, kein Zeitverlust
mit Entnazifizierung, für alle Beteiligten eine geradezu Ideale Lösung. Er
wurde Pächter der Apotheke und blieb es sehr lange.
Seine Berichte aus dieser Zeit waren typische Nachkriegsgeschichten. Da wurden
die Russen mit "Prima-Sprit" und zum Schluss mit ordinärem
Franzbrandwein bei Laune gehalten. Hin und wieder verlangte auch ein süchtiger
Franzose "Avez vous Ethäääär?" (Äther); die Amerikaner kauften
die Restbestände von "ÄÄÄÄÄÄspirin" (Aspirin) auf, das wohl
schon immer dieses Volkeine Art Grundnahrungsmittel darstellte. Und ein
englischer Gentelman der Armee verschob schon mal eine Prise des damals in Gold
aufgewogenen Penicillins gegen die gesamtem Restbestände - man höre und staune
! - von "London Gefühlsecht", dessen Verwendung wohl keiner weiteren
Erklärung bedarf.
In der unmittelbaren Nachkriegszeit waren die Schaufenster bis auf eine
"Durchreiche " zugemauert.
Die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten wurde - wenn
auch sehr notdürftig - sichergestellt. Dabei wurde grundsätzlich und in jeder
Menge gekauft, was angeboten wurde, um es dann notfalls gegen andere Medikamente
einzutauschen. Kurz gesagt: Der Schwarzmarkt machte auch nicht vor einer
Apothekenpforte halt.
Von der schmerzlichen Teilung Berlins in Sektoren profitierte die Körner
Apotheke geradezu. Dicht beim S-Bahnhof Innsbrucker Platz gelegen, kamen
täglich mehr oder minder betuchte "Ostler" und kauften so ziemlich
alles, weil es "drüben" so ziemlich nichts gab. Der Apotheker war
freundlich und großzügig. Wenn die "armen Ostler" ihr im Verhältnis
1:6 bis 1:10 getauschtes Geld mit trauriger Miene auf den Tresen legten, wurde
schon mal deutlich nach unten abgerundet. So wurde aus weniger Umsatz mehr, und
die Leuchten kamen wieder.
Im Jahre 1960 begann der Verfasser dieses kleinen
geschichtlichen Abrisses unter dem damaligen Besitzer der Körner-Apotheke Dr.
Schonewille als Stift seine Laufbahn als Apotheker.
Damals war Friedenau ein lebendiger Stadtteil. Die Hauptstaße, ein Teil der 1A
- der Verbindungsstraße von der ostpreußischen Stadt Königsberg mit Berlin,
der Hauptstadt, hatte alteingesessene, qualitätsbewusste Geschäfte. Es gab den
Fleischer Österreich, Blumen - Weber, das Fischgeschäft Hasse. Ein kleines,
aber feines Modegeschäft sowie "Papier-Neubert" und als
Zeitungsgeschäft und zentrale Neuigkeitenbörse den Laden Rackow, fehlten
ebenso wenig wie der "Tante-Emma-Laden-Trautchen Matthes". Und
mittendrin, wie eh und je, die Körner-Apotheke. Dr Schonewille, ein in
Friedenau sehr geschätzter Apotheker mit Herz und Verstand, leitete nach wie
vor die Apotheke. Ihm zur Seite standen die Apothekerin Sigrid Günther sowie
eine bis zwei Helferinnen.
Neben der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln half man
bei der Installierung des Berlin-Marathon und bei kleineren Projekten rund um
den Prerelsplatz und hielt damit Verbindung mit der Philippus-Gemeinde, und -
sehr persönlich - zu dem langjährigen Gemeindepfarrer Herrn Dr. Perels, dem
Bruder des von den Nazis in Plötzensee ermordeten Widerstandskämpfers.
Im Jahre 1977 übergab der langjährige Apothekenleiter Dr. Schonewille seinen
ehemaligen "Stift", dem Apotheker Dr. Dietmar Jentsch, die Apotheke.
Nach vier Jahren Pacht ging die Körner-Apotheke dann in den Besitz von Dr.
Jentsch über.
Mit dem Ausbau der Schloßstraße zu einem komplexen und komfortablen
Einkaufszentrum - in wenigen Minuten mit zwei Buslinien erreichbar - nahm das
Geschäftsleben in der Haupt- und Rheinstraße ab. Wiederbelebungsversuche von
bekannten Politikern und natürlich stets vor Wahlen als Herzenssache propagiert,
waren bedauerlich wenig erfolgreich.
Allein der Gesundheitssektor, Arztpraxen und Apotheken- zwar
unter der Bürde ständig neuer Belastungen durch diverse Gesundheitsreformen
leidend - hielten ein beachtenswertes Niveau. Die permanent wachsenden
Gesundheitskosten verlangten von den Ärzten ein Umdenken im
Verschreibungsverhalten und eine veränderte Beratungsfunktion des Apothekers.
Das sich auch daraus resultierende Besinnen auf die Naturheilkunde als
Alternative zur chemisch-pharmazeutischen Medikation hatte in der Apotheke
jedoch schon lange vorher eingesetzt. Durch erfolgreiche Erfahrungen am eigenen
Leib bestärkt, "konvertierte" der eingefleischte Industrie-Apotheker
Dr. Jentsch zu einem überzeugten Verfechter der Naturheilkunde als
gleichberechtigten Partner der Schulmedizin ( überwiegend synthetische
Arzneimittel) bei der Heilung von Menschen. Wesentlich dazu beigetragen hat die
Zusammenarbeit mit einer Naturheilpraxis in Friedenau. Wenn besonders ältere
mit über Jahren bestehenden Leiden von beachtlichen Behandlungserfolgen durch
gekonnten Einsatz der Naturheilkunde berichteten, hörte der Apotheker
aufmerksam zu und gab das Gehörte gern an anderen Kunden weiter mit dem Rat, es
doch auf einen "Versuch" mit der Naturheilkunde ankommen zu lassen.
Und fast immer kamen diese Kunden zurück mit den Worten: Ihr Tipp war wirklich
gut. Übrigens: Der Apotheker hat dabei auch eine ganze Menge gelernt.
Und so erfüllt bereits seit 90 Jahren die Körner-Apotheke unermüdlich den als
"neu" kreierten Anspruch "Zentrum der Gesundheitsberstung"
zu sein.
Dr. D. Jentsch
Bild 1: So sah die Körner Apotheke
Anfang des 20.Jahrhunderts aus |