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Jahrbuch 2001 für Steglitz -

Mein erster Fotoapparat

Am 1. April 1937 fing ich bei ZEISS IKON AG Goerzwerk als Feinmechaniker - Lehrling an. Es gab einen Monatslohn von 16 Reichsmark (RM): Das Geld vom ersten Monat durfte ich behalten. Wirtschaftsgeld  müsste ich davon erst später bezahlen, meinte meine Mutter großzügig. Ich freute mich, denn genau 16 Reichsmark kostete seinerzeit die beste ZEISSIKON Box Tengor- Kamera. Ich habe sie gekauft. Viele schöne Bilder entstanden damals - halbmatt mit Blütenrand.

Ich wurde im Konstruktionsbüro beschäftigt. Nach zwei Jahren ging's in den Krieg. Die Box begleitete mich. An der Newa bei Leningrad habe ich die Angriffe der Stukas fotografiert, leider unscharf. Dann wurde es ernst. Am 11. Dezember erwischte es mich bei Velikije Luki, etwa 400 km vor Moskau. " Heimatschuss" und viel Glück gehabt. Über Smolenk und Warschau kam ich nach Halle an der Saale in ein Lazarett. Dort erhielt ich ein Paket von meinem Kompaniechef. Er schickte private Sachen und meine Box-Kamera mit vielen guten Wünschen für meine Gesundheit.

Später wurde ich von der Wehrmacht entlassen und bei der IG-Farben in Ludwigshafen ins Konstruktionsbüro übernommen. Ich freute mich, dass ich die Box-Kamera wieder hatte und konnte so die schöne Gegend um Heidelberg fotografieren. Nun wurde weiter für den Endsieg konstruiert. Im Mai 1944 bekam ich nach langen Jahren Urlaub und durfte meinem Großvater zum 75. Geburtstag in Berlin Besuchen. Dabei traf ich meinen alten Schulfreund und wir fotografierten alle historischen Gebäude, die noch nicht zerstört waren. Das Liebermann-Haus war schon ausgebrannt und die Domkuppel eingestürzt. Plötzlich gab es Fliegeralarm und wir flüchteten mit der U-Bahn Richtung Krumme Lanke. Dort mussten wir in einen Splittergraben am Sven-Hedin-Platz gehen und erhielten einen Volltreffer. Mein Freund war am Kraterrand halb verschüttet. Wir schaufelten ihn frei. Ein Bombenstück - etwa 10 cm lang und 1 cm dick - durchschlug meine Aktentasche. Aber die Box-Kamera und mein Freund blieben heil, während der U-Bahnzug zerstört wurde. Wieder einmal Glück gehabt. Ab 1946 war ich wieder im Konstruktionsbüro bei ZEISS IKON tätig.

Meine erste Beschäftigung bestand darin, die Zeichnungen der Box zu rekonstruieren. Alles war zerstört, aber die Box wurde wieder gebaut. Später gab es neue und bessere Kameras, aber meine alte und treue ZEISSIKON Box bekommt sicher ein Plätzchen im Heimatmuseum Zehlendorf.

Werner Stuhr