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Jahrbuch 2001 für Steglitz -

Arthur Franchon

Eine Steglitzerin bin ich nicht, aber der Bezirk wird mir immer in Erinnerung bleiben, denn ich habe dort einen Teil meiner Schulzeit verbracht. Es war in 50iger Jahren. Ich zählte zu den Kindern, die man Auffangschüler nannte. Übergesiedelt aus der DDR und durch das unterschiedliche Lehrsystem, der Nachkriegszeit überhaupt, und den Wirren im Allgemeinen, hatten nur wenige die Chance in der beginnenden Wirtschaftswunderzeit den ihnen angemessenen platz zu finden. So mancher vor uns wäre gescheitert, wenn es ihn nicht gegeben hätte, unseren Schuleiter. Arthur Franchon, Direktor der städtischen Oberschule technischen Zweiges in der Lepsiusstraße. Er setzte sich nicht nur für die Schüler des Bezirkes ein, sondern hatte sich zur Aufgabe gemacht eben diese Auffangschüler integrieren zu wollen. Sie wurden bei ihm aus allen Teilen der Stadt aufgenommen. Darüber hinaus gab er uns ethische Prinzipien und Richtlinie vor.

Ich möchte mich heute an ihn erinnern.

Arthur Franchon war zierlich, von kleiner Statur, ein fast unscheinbarer Mann von enormer menschlicher Größe, die sich besonders aus Gradlinigkeit, Rechts- und Unrechtsbewusstsein verbunden mit Konsequenz, menschlichem Einfühlungsvermögen und vor allem Liebe zu seinen Schülern ausdrückte. Alles an ihm sprach Güte, Duldsamkeit und Ruhe aus. Niemals habe ich ihn grob oder unbeherrscht erlebt, und dennoch hatten die Schüler, ebenso wie das Lehrpersonal, großen Respekt vor ihm.

Seine Methode war es, die Unterrichtsschwerpunkte in den Klassen different zu verlegen, welche auf die Begabung des einzelnen und im besonderen der mit Lücken behafteten Ost-Schüler ausgerichtet war. Jene hatten ein totales Manko in der englischen Sprache, waren aber aber nicht selten in Mathematik fortgeschrittener. Im Sport, einer der vernachlässigten Fächer im Westen der Stadt, bei uns umso mehr, da die Schmidt-Otto-Schüler sich nicht nur den Schulhof, sondern auch die Turnhalle mit der Gritznerschule teilen musste, lagen die Ostler weit vorne.
Kein Schüler war bei diesem Leiter nur eine Nummer, sondern wurde individuell eingestuft und gefördert. Auch für Nöte und Belange die außerhalb des Schulbereichs anstanden, setzte er sich ein, wenn es ihm möglich war. Seine Freizeit opferte er, um mit uns im Titania- Palast Filme anzuschauen. "12 Uhr Mittags" und "Des Teufels General" sind mir im Gedächtnis geblieben. Im Unterricht folgten dann Diskussionen zu den Handlungen.

Unsere Elternhäuser waren zu dieser Zeit sehr unvollkommen. Kaum eines der Kinder, bei dem beide Elternteile den Krieg überlebt hatten. Einige Vollwaisen, die von Großmüttern oder Tanten aufgezogen wurden und so eine Familie Komplett verblieb, war man noch nicht fähig die Apathie, die sich aus den Geschehnissen barg, abzulegen. Die Narben der Hitler-Zeit und deren Folgen waren zu frisch, um aus dem kurzen Abstand eine Klarsicht formen zu können. Er, unser Direktor, gab sie vor und es lag an uns sie zu greifen und als Samenkörner aufzubewahren.
Herr Franchon verstarb vor ca. sechs Jahren im gesegneten Alter von 95 Jahren, nach einem erfüllten Leben, wie mir seine Witwe bestätigte, und ich bin mir sicher, dass er, wo immer er auch sein mag, vor einem Herrgott nichts zu fürchten hat, obwohl auch er, wie jeder einmal, irrte. Mit einer Anekdote, die mir vor einigen Jahren zugetragen wurde, möchte ich den Artikel schließen.

Herr Franchon hatte eine Schülerin, die zu seinen besten Aufsatzschreiberinnen zählte. Jedoch ihre Rechtschreibung war durchschnittlich mangelhaft, gelegentlich darüber. Als alle fachlichen Methoden, alle probaten Mittel versagt hatten, ersann er eine List. Vor der gesamten Klasse, bei der an diesem Tage auch Gastschüler anwesend waren, holte er die Schülerin nach vorn und gab dieser den Rat, sich im Rechtschreibfach doch besser zu befleißigen, denn sonst würde sie nie einen Mann bekommen. Spättestens beim ersten Liebesbrief würde jeder sich abwenden.
Viele Jahre später soll die Schülerin bei ihrem Direktor angerufen haben. Sie bedankte sich bei ihm und sprach: "Sie waren ein großartiger Schulleiter. Ich habe Ihnen viel zu verdanken und weiß heute wie Recht Sie hatten, obwohl ich es damals noch nicht immer so empfand. Nur in einem Punkt hatten Sie unrecht. Ich bin seit 15 Jahren verheiratet und auch sonst haben einige Männer meinen Weg gekreuzt, aber für meine Rechtschreibung hat sich keiner interessiert".
Für die Richtigkeit dieser Anekdote kann ich mich, die Unterzeichnerin, verbürgen, denn diese Schülerin war ich.

Hella Leuchert-Altena.

Bild: Arthur Franchon mit seiner Frau im Dezember 1983