Zurück zum Inhaltsverzeichnis


Jahrbuch 2001 für Steglitz -

Paul Lincke - der Berlinsche Johann Strauß

Der Schöpfer der "Berliner Nationalhymne" "... die Berliner Luft...", Paul Lincke, wurde am 7. November 1866 in Berlin geboren.
Vom Vater hatte er das musikalische Talent geerbt. Der Magistratsbeamte, der ein passionierter Geiger war, nahm in seiner Freizeit immer wieder kleine Engagements an verschiedenen Orchestern an. Der Vater starb im Jahre 1870, und Linckes Mutter erwarb als Weißnäherin für ihre drei kleinen Kinder den Lebensunterhalt. Die Musikbesessenheit des jungen Paul war so übermächtig, dass er häufig die Schule schwänzte, um in der Mittagszeit der Kapelle der Gardepioniere zu lauschen. häufig kam er, zum Kummer seiner Mutter, zu spät heim, weil er in den Sommergärten der Militär- und Konzertkapellen zuhörte und darüber die Zeit vergaß. Ein Freund der Familie gab ihm Geigenunterricht. Weil die Mutter ihm ein Musikstudium nicht ermöglichen konnte, verschaffte ihm wiederum ein Musikerfreund seines Vaters eine Lehrstelle in Wittenberge. Der Vierzehnjährige sollte dort in der "Stadtpfeiferei", (die Zukunft der Stadtpfeifer entstand im 13. Jahrhundert) "die Ausübung der Instrumente der Reihe nach erlernen". Da man dort seine Begabung erkannte, wurde Paul schon während seiner Lehrzeit als vollwertiges Orchestermitglied eingesetzt.

Vier Jahre später fand die Freisprechung des Stadtpfeifer-Lehrlings Paul Lincke statt. Zur Abschiedsfeier bedankte sich der achtzehnjährige Absolvent mit einem selbst komponierten Marsch "Gruß an Wittenberge". Es war sein erfolgreiches Debüt als Dirigent. Nach vier Jahren "Verbannung" in eine Kleinstadt zog es in nach Berlin zurück. Bald begeisterte der der junge schmissige Kapellmeister sein Publikum.
Er dirigierte im Schweizer Garten in Friedrichhain und im Belle- Alliance- Theater seine ersten eigenen Werke; Schlager die zu Ohrwürmern wurden.

Später folgte ein Engagement am Apollo Theater , an dem Lincke in späteren Jahren die "Berliner Operette" kreierte. Sein Publikum verglich ihn gern mit dem jungen Kaiser, denn sein nach oben gezwirbelter Bart, die blitzenden Augen und die "schneidigen Kopfbewegungen" wiesen gewisse Ähnlichkeiten auf. Er sah einfach und fesch aus im Frack, auch seine Musik war witzig und voller Schwung.
Seiner Musik, aber auch seinem Aussehen und der Art seines Auftretens verdankte Paul Lincke ein Engagement am "Folie Bergere" in Paris.

Die Direktion des Apollo gaben ihm die Option: "Bei uns können sie immer wieder Chefdirigent sein!". Sie dachten unisono mit den Berlinern: Wenn Franzosen den "feinen Paul" anheuern, dann muss er ja noch viel besser sein, als wir gewusst haben!" Der "Preuße in Paris" musste das Orchester, das Publikum und vor allem die Presse erst erobern. Aber der jetzt einunddreißigjährige Paul Lincke überzeugte auch in der Kulturmetropole Europas, und bald sang und pfiff man auch auf den Pariser Boulevards seine Melodien.
Anfang des Jahres 1899 erwartete, tout le monde, dass Lincke entweder dem Angebot, in Paris zu bleiben, oder den Offerten aus London oder New York folgen würde. Statt dessen entschied er sich für - Berlin.
"Paul Lincke wieder am Apollo Theater" jubeltete die Presse, und das Publikum riss sich um die Plätze.
Ihr Paul, fanden sie Berliner, war in Paris noch feiner geworden - weiße Glacehandschuhe und ein nachtblauer Frack (!), und dann die Musik - mit Berliner Tempo und einem französischen "Schissalaweng".

Im Mai 1899 war die Premiere von "Frau Luna", mit ihr kam auch der finanzielle Erfolg. Die "Schlösser , die im Monde liegen..." waren nun zum greifen nah. Paul Lincke gründete einen Musikverlag, den "Apollo- Verlag".
Auch seinen größten Erfolgsschlager haben ihm ein Vermögen eingebracht, "Donnerwetter, wir sind  Kerle" und das "Glühwürmchen". Das Glühwürmchen , aus der Operette "Lysistrata", ging um die ganze Welt.
Der Komponist erwarb ein Haus in der Oranienstraße, indem er auch seinen Musikverlag unterbrachte. Im zweiten Weltkrieg fiel das Haus in Schutt und Asche. Um die Jahrhundertwende wohnte und komponierte Paul Lincke in der Steglitzer Villa seines Verlagssozius Richard Rühle, in der Grunewadstraße 22.
1904ging Lincke ans Thalia Theater, zu der Zeit entstand die "Berliner Luft". Der Musikhistoriker Edmund Nick meinte: " Der Berliner-Luft-Marsch kann künstlerisch ebenso wenig gewertet werden wie ein Elementarereignis. Er überfährt einen, er reißt einen mit..".
Paul Linckes Engagement am Thalia ließ ihm die Freiheit, auf Tournee zu gehen und in seinem Verlag zu arbeiten. Er setzt mit seinem Freund Richard Strauß und anderen die Urheberrechte der Komponisten durch, ein Vorläufer der Gema. Die Orchester, Tanzlokalbetreiber und andere, die nun Tantiemen zahlen sollten, wollten seine Musikstücke boykottieren, ohne Erfolg, denn alle Welt wollte seine Musik hören.
Einer neuen Herausforderung stellte Paul Lincke sich, als er 1908 am Metropol Theater zu einem frechen, kritischen Libretto einer Revue die Musik schrieb.

"Donnerwetter, wir sind Kerle", war eine Parodie auf den preußischen Gardeoffizier. Seine Majestät verbot seinen Offizieren den Besuch des Theaters. Der Komponist, freilich in Zivil, wiedersetzte sich als erster dem Verbot, ein mehrtägiger "Kaiserlicher Stubenarrest" war die Folge.
Der Komponist und Dirigent erlebte einen neuen Höhepunkt seiner Karriere und - Majestät soll ihm auch vergeben haben.
Doch es trieb ihn wieder zur Operette, und so entstanden bis zum Beginn des ersten Weltkrieges "Grigri" und "Casanova"; unnötig zu betonen, dass es wieder überaus große Erfolge waren.
1918 gab es das Berlin der Vorkriegszeit nicht mehr - auf allen Ebenen. Sei "Amüsemang" suchte der Berliner jetzt beim Charleston, Tango und Jazz. Dann kam die Inflation, die nostalgischen Berliner hatten für Theaterbesuche kein Geld.
Paul Lincke verkaufte eigenhändig im Verlag die Noten seiner Erfolgsmelodien. Erst als 1923 in Berlin der erste Rundfunksender in Betrieb genommen wurde, besann man sich wieder auf "Evergreens". Anfang der Dreißiger Jahre erst wurden seine Operetten wieder mit Erfolg ausgeführt.
Dann kamen die neuen Machthaber, die den populärsten Künstlern huldigten. So ehrten sie Paul Lincke zu seinem 70. Geburtstag 1936 mit einem Musikfestival.
Linck dirigierte so schwungvoll wie eh und je, und der Beifall war so stürmisch wie in alten Zeiten. "Ich bin der einzige Lincke der in Berlin noch Rechte hat," frotzelte er. Und der vitale Künstler dirigierte weiter in Berlin und anderswo seine Werke.
Zum 75. Geburtstag des Komponisten hatte der Marischka Film "Frau Luna" Premiere, und Paul Lincke wurde zum Ehrenbürgers Berlins ernannt.

1943 nahm er eine Einladung nach Marienbad an, um "Frau Luna" zu dirigieren. Er blieb als Kurgast bis zum Ende des unheilvollen Kriegs.
In Hahnenklee fand der 1946 im achtzigsten Lebensjahr stehende Komponist sein letztes Quartier und seine letzt Ruhestätte. Er hatte schon wider Proben geleitet für eine große Paul-Lincke-Tournee, die Anfang September stattfinden sollte. Den Premierentermin konnte er aber nicht mehr einhalten.
Als sein Arzt ihn Ende August eilends von einem Sanitätswagen ins Krankenhaus bringen ließ, machte der schwerkranke Paul sich noch ein letztes Mal "fein", grauer Anzug, weißes Hemd, passende Krawatte, zündete sich eine Zigarre an und meinte:" Na, wenn schon sein muss - mit nem bißken Dampf jehts besser!" Er starb in der Nacht vom 3. zum 4. September 1946...
"Wenn auch die Jahre enteilen, bleibt die Erinnerung doch..."


Barbara Kobek