Jahrbuch 2001 für Steglitz -
Die
Berliner Bäcker-Innung - ein Hindernislauf durch die Geschichte
"Wenn man beim Bäcker Ware kauft, setzt das beim
Kunden ein großes Vertrauen in die Qualität dieser Erzeugnisse voraus, weil
sie ja gegessen werden," erklärte der Steglitz Innungsobermeister Alfons
Wagner aus der Sachsenwaldstraße.
Nach Gründung der Bäcker-Innung 1272 war es vorgeschrieben, dass ein
Bäckermeister, der das Vertrauen der Ratsherren genoss, zweimal wöchentlich
bei seinen Kollegen das Brotangebot nach Qualität und Gewicht zu
kontrollieren hatte. Wurden die Normen nicht erfüllt, ließen die Ratsherren
es zu den beiden Armenhöfen der Stadt abfahren oder es musste wesentlich
billiger verkauft werden.
Das Privileg des Großen Kurfürsten für die Bäcker-Innung
vom 9. September 1646 erlaubt nähere Einblicke in das Zunftrecht.
Obligatorisch waren drei Innungsversammlungen, die sogenannten Morgensprachen,
am Montag nach Lichtmess (2. Februar), am Mittwoch nach Pfingsten und am
Montag nach Michaelis (29. September), deren Besuch verbindlich war. Als
Entschuldigung galten nur die Teilnahme an einer Hochzeit, Taufe oder
Beerdigung, Krankheit, Abwesenheit aus der Stadt oder Aufträge des Kurfürsten
oder des Rates. Die wichtigste Morgenansprache war die nach Pfingsten, denn
hier wurden jährlich die Handwerksmeister, die die Innung leiten sollten,
sowie zwei Jungmeister gewählt.
Eine Gesellenprüfung im heutigen Sinn gab es nicht. Damals galten zwei Jahre
Lehrzeit. Dafür musste der Lehrling dem Meister sieben Taler und der Innung
eine Tonne Bier und zwei Pfund Kerzenwachs zahlen. Wenn der Lehrling nach
diesen zwei Jahren Geselle geworden war, konnte er sich von der Innung einen
Lehrbrief gegen die Gebühr von einem schweren Gulden besiegeln lassen.
Seit 1849 galt auch für Bäcker-Innung, dass ohne
Meisterprüfung niemand einen Betrieb selbstständig führen durfte.
Voraussetzung waren nun mindestens drei Lehrjahre mit Gesellenprüfung und
anschließend wenigstens drei Jahre Arbeit als Bäckergeselle. Damit hatte
sich die Innung gegen sog. "Patentbäcker" und andere unliebsame
Konkurrenz erfolgreich zur Wehr gesetzt. Der Innung oblag die Ausbildung der
Lehrlinge, die Kontrolle der Gesellen, die Verwaltung der Kranken-, Sterbe-,
Hilfs- und Sparkassen der Innungsmitglieder sowie die Fürsorge für die
Witwen und Waisen der Innungsgenossen. Das gilt in wesentlichen Teilen bis
heute.
Während der Zeit der Weimarer Republik setzte die sozialdemokratische Partei
durch, dass der Arbeitsnachweis für das Bäckergewerbe 1919 dem Einfluss der
Innungen entzogen und einer städtischen Arbeitsvermittlungsstelle in Berlin,
Friedrichstraße, zugeordnet wurde. Im Sommer 1923 wurde die Berliner
Bäckerherberge, die seit 1890 im Innungshaus der Concordia bestand, nach
Anwohnerbeschwerden aufgegeben. Damit waren zwei wichtige, seit Jahrhunderten
bestehende Institutionen des Innungswesens, die als Schaltstelle zwischen
Meister und Gesellen von der Innung selbständig geleitet worden waren,
aufgehoben und ihre Funktionen teilweise von der öffentlichen Hand
übernommen worden.
Mit dem Gesetz vom 23. November 1918 wurde in der neuen
Republik über den Achtstundentag auch weiterhin das Nachtbackverbot festgeschrieben.
Ab 1934 wurde unter nationalsozialistischer Reichsregierung ohne Befragung der
Beteiligten festgelegt, dass ab 4.30 Uhr mit den Arbeiten in der Backstube
begonnen werden dürfe. In Berlin schloss der Polizeipräsident zum 31. März
1934 die bestehenden 17 Bäcker-Innungen und errichtete am folgenden Tage die
"Bäcker- Zwangs- Innung- Berlin", der sämtliche Bäcker in Berlin
angehören mussten.
Mit dem Einmarsch sowjetischer Truppen in den letzten Apriltagen des Jahres
1945 war für die meisten Berliner der Krieg zu Ende. Beendet war damit aber
auch zunächst jegliche Organisation der Lebensmittelversorgung, die bis in
die letzten Kriegstage leidlich funktioniert hatte. Als sich am 21. April die
sowjetischen Truppen durch fernen Geschützdonner ankündigten, hatten die
meistens noch schnell die Gelegenheit genutzt, ihre letzten Marken in
Nahrungsmittel umzusetzen. Vor den Bäckerläden standen lange Menschenschlangen,
bald war in ganzen Bezirken das Brot ausverkauft. Dieses Hamstern war auch
lebensnotwendig, den mit der Eroberung von Berlin brach zunächst die gesamte
Versorgung zusammen.
Fast überall in der Stadt gab es weder wasser, Strom noch
Gas. Wasser musste mühsam an den öffentlichen Pumpen geholt werden, an denen
sich lange Schlangen bildeten. Die Bezirksämter arbeiten nicht mehr, die
Mehllieferungen waren unterbrochen. Den noch bemühten sich viele Bäcker,
unter diesen katastrophalen Bedingungen noch Brot für die Bevölkerung
herzustellen. Ab Mitte Mai wurden auf Betreiben der Sowjets wieder
Lebensmittelmarken ausgegeben und die städtische Verwaltung wieder in Gang
gesetzt. Für die Lebensmittelkarten gab es fünf Klassen. Schwerstarbeitern
standen nach Klasse 1 täglich 600 Gramm Brot, 30 Gramm Fett und 100 Gramm
Fleisch zu. Hausfrauen, Beruflose, Rentner und ehemalige Parteigenossen
erhielten die sogenannte "Hungerkarte" Klasse V. Auf die gab es
täglich 300 Gramm Brot, 7 Gramm Fett und 20 Gramm Fleisch.
Im Frühjahr 1947 wurde Hermann Drewitz zum Obermeister der Berliner
Bäcker-Innung gewählt. Es herrschte noch immer strenge Zwangsbewirtschaftung
und Backvorschriften über Rezepturen für Grundnahrungsmittel. Die Alliierte
Kommandantur entschied über die Verteilung der Rohstoffkontingente der Innung
oblag die Ausführung ihrer Befehl sowie das Zählen und Abrechnen der
Brotmarken mit dem Bezirksamt. Reines weißrot gab es nur auf Sondermarken
für Kranke und Kinder. Vorherrschend war damals Roggenmischbrot. Dazu kam,
dass allzu oft neben weizen- und Roggenmehl bzw. schrot auch noch andere Mehle
wie Erbsen-, Kartoffel-, Soja- und Maismehl verwendet werden mussten.
Erst nach Aufhebung der Blockade am 12. Mai 1949 begann sich
allmählich auch in Berlin die Lage zu normalisieren. Ab 1950 wurde die
Zwangsbewirtschaftung, die der Bundesrepublik schon in der zweiten Hälfte
1949 eingestellt worden war, auch in den Westsektoren Berlins endgültig
aufgehoben. Anfang 1951 wurde auch im Ostsektor zumindest die Brotkarte
abgeschafft.
Mit der Einführung der D-Mark in den Westsektoren im Juni 1948 war die
wirtschaftliche Spaltung der Stadt besiegelt. Durch die Blockade wollten die
Sowjets die Westsektoren zwingen, die am 23. Juni 1948 als Reaktion auf die
Währungsreform im Westen im Ostsektor und der sowjetischen Besatzungszone
eingeführte Ostmark als alleiniges Zahlungsmittel zu akzeptieren. Dieses
Vorhaben scheiterte am Luftbrückeneinsatz der Alliierten und am
Durchhaltewillen der West-Berliner. Die Möglichkeit, sich im Ostsektor
registrieren zu lassen, um dort Lebensmittel zu erhalten, nutzten nur zehn
Prozent der Westberliner Bevölkerung. Innerhalb der Blockadezeit kam es neben
der wirtschaftlichen auch zur politischen Spaltung der Stadt. Am 30. November
1948 brach der Magistrat endgültig auseinander, und es gab seit dem eine
städtische Regierung im Roten Rathaus für den Ostsektor und eine im
Schöneberger Rathaus für die Westsektoren. Dort wurde noch bis 1963 ein
Roggenmischbrot- Konsumbrot genannt mit staatlichen Zuschüssen
subventioniert.
An
Kuchenbacken war nach Kriegsende vorerst nicht zu denken. Erst im September
1946 wurde überhaupt die Herstellung von Kleingebäck genehmigt. Die nun
erhältlichen Schrippen, Schusterjungen und Kümmelstangen waren aus einem der
geltenden Backprogramme für Mischbrote zu backen und mussten 45 Gramm wiegen.
Im Dezember 1947 wurde nach das Kuchenbacken in den Bäckereien gestattet,
allerdings nur zum Sonnabend. Erlaubt waren zunächst Zuckerkuchen und
Kuchenbrötchen.
Hinzu kamen im Laufe des Jahres 1948 nach genauer Kalkulation durch das
Haupternährungsamt Blechkuchen und Stollenarten bis 500 Gramm
Brotmarkengewicht, gefüllte Blechkuchen, Kranzstangen und gefüllte Taschen
sowie Torten und Tortenstücke. Eigenkreationen der Bäcker waren nicht
gestattet, sondern die Rezepte waren behördlicherseits genau festgelegt.
Silvester 1948/49 gab es dann in den Westsektoren erstmals wieder seit
Kriegsbeginn die traditionellen Silvesterpfannkuchen, für deren Herstellung
eine Ausnahmegenehmigung erteilt worden war.
Selbstständig Bäckermeister lassen sich bis heute das Mischen der Zutaten
nicht nehmen und stellen den Hefe- und Sauerteig selber her. Das gilt auch
für die rheinländische Bäckerei Mälzer in der Ahornstraße. Sie ist
bekannt für das Vollkornbrot aus Roggenschrot, Malz, Salz, Wasser und
Natursauer. Der Roggen wird für das Vollkornbrot mehr gequetscht als
gemahlen. Die Backzeit beträgt drei Stunden. Dadurch ist das Brot ohne
Konservierungsstoffe gut haltbar. Besonders das Vollkornbrot hat viele
Liebhaber gefunden.
Seit 1959 hat sich die Zahl der Bäckereien in der Innung Steglitz von 111 auf
9 verringert. "Ingesamt gibt es jedoch in Berlin mehr Verkaufsstellen
für Backwaren als früher", erklärt Alfons Wagner, seit 9 Jahren
Innungsobermeister in Steglitz. Die werden häufig von Großbäckereien
beliefert, die auch mit Fertigmehlmischungen arbeiten. Tiefgefrorene Teiglinge
werden in den Abbackstationen für den Verkauf vorbereitet. Diejenigen, die im
Land Brandenburg backen lassen, sparen zudem pro Gesellenstunde rund 6 Mark
Tariflohn ein. Brotfabriken und Filialisten, die große Menge Brot und Gebäck
aus Fertigmehlen zu günstigen Stückpreisen produzieren, bringen ihre waren
billiger auf den Markt. Da können kleine und mittelgroße Betriebe nicht
mithalten, zumal sie schon heute weder an Brot noch an Schrippen einen
nennenswerten Verdienst haben. Für Dutzende Bäckermeister bedeutete das den
Verlust der selbstständigen Existenz und für die Mitarbeiter den Verlust des
Arbeitsplatzes.
Allerdings muss ein guter Bäcker noch lange kein guter
Kaufmann sein. Genau diese Fähigkeiten sind aber heutzutage
überlebenswichtig- wenigstens für das wirtschaftliche Überleben eines
Handwerksbetriebs.
"Das Einkaufsverhalten hat sich verändert. Viele Berufstätige nehmen
sich nicht mehr die Zeit, zu Hause zu frühstücken. Sie schauen abends lange
fern, schlafen morgens bis zum Anschlag und kaufen ihr Frühstück auf dem Weg
zur Arbeit. Das heißt, dass morgens weniger Brötchen gekauft werden. Deshalb
bieten viele Bäckereien fertige Frühstücksbrötchen zum sofortigen Verzehr
an", erzählt Bäckermeister Woyczechowski aus der Kurfürstenstraße.
Ein anderer Kollege mit mehreren Filialen war "Hoflieferant" bei
"Kaisers". Als der Lebensmittler einen billigeren Lieferanten
gefunden und gebunden hatte, stand der "Hoflieferant vor verschlossener
Tür und hatte schlagartig elf Prozent seines Umsatzes verloren. Deshalb
veräußerte er seine Läden an einen noch viel größeren Filialisten.
Die meisten Steglitzer Kleibetriebe haben keinen Nachfolger gefunden. Entweder
hat der Inhaber aus Altersgründen aufgegeben wegen übermächtiger
Konkurrenz, oder wegen zu hoher Gewerbemieten. Die Kreativität des Bäckers,
das Interesse an den Wünschen und Bedürfnissen der Kundschaft, die Auswahl
des richtigen Standortes sowohl für die Produktion als auch für den Vertrieb
und das ständige Bemühen um neue (Groß-) Abnehmer sind unverzichtbar.
Früher waren die Bäckereien dort, wo die Menschen wohnten. Heute werden die
Verkaufsstellen dort eingerichtet, wo viele Menschen einkaufen gehen. Zum
Beispiel in Supermärkten, Einkaufszentren, Zeitungsläden oder in
Tankstellen. Wer darüber nicht nachdenkt und keine neuen Entscheidungen
trifft, der kommt zu spät. Wie sagte doch der ehemalige russische Präsident
Gorbatschow: "Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben".
Reinhard Frede
Quelle: Geschichte der Bäcker-Innung Berlin.
Bild: Sabine und Martin Woyczechowski 1972 neben dem Kohlebackofen in der
Thorwaldsenstraße |