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Jahrbuch 2001 für Steglitz

100 Jahre Tanzvergnügen

Ein Musiker fragt einen Passanten in Berlin nach dem Weg zur Deutschen Oper. Der Passant antwortet ungerührt:" Üben , üben, üben"... Mit dem Tanzsport ist es nicht anders. Einzelne Tänze, die Schritte, spezielle Rhythmen und Drehungen werden natürlich sukzessive erlernt. Es ist der ewig neue Kampf mit den eigenen Füßen, der Konzentration auf Schrittfolgen, Musik und Taktgefühl. Nur die Übung macht den Meister...

Tanzen lernt man am besten beim Profi. Die Tanzschule Hegenscheidt im Steglitzer Kreisel gehört bereits seit über 100 Jahren dazu. So alt ist der Kreisel nun auch wieder nicht. Hans, der Sohn von Ferdinand Hegenscheidt, führte die Tanzschule ab 1922 in der zweiten Generation als Tanzlehrmeister weiter. Er erlaubte sich, ein höchst interessantes Unterhaltungsprogramm öffentlich bekannt zu machen." Es umfasst die mechanischen Vorübungen zur kunstgemäßen Ausbildung und graziösen Bewegung, Vorträge über Umgangsformen der guten Gesellschaft, Anmuts- und Positionslehre, Einstudierungen sämtlicher modernen Tänze ". Hans Hegenscheidt, lud nun zu Kursen ein - man tanzte Wiener Walzer, Polka und Rheinländer, Tango und Charleston.
Die Tanzkurse wurden in Gasthaus-Sälen in Berlin-Steglitz, Südende, Schöneberg, Friedenau, Lichterfelde, Zehlendorf, in Teltow, Trebbin, Luckenwalde, Zossen, Rangsdorf, Lübbenau, Königs Wusterhausen, Mittenwalde, Storkow, Zeuthen, Wildau und Fürstenwalde durchgeführt. Tanzlehrer Hegenscheidt reiste schon damals mit dem Auto von Ort zu Ort. Der älteste und bekannteste Unterrichtstort war "Albrechthof" am Rathaus Steglitz, am Rathaus Steglitz, im Restaurant "Schloßpark", jetzt "Wrangelschlößchen", im Parkrestaurant Südende, im Restaurant ""Elefant", in der "Loge" Albrechtstraße 113 sowie im "Patzenhofer" in der Breite Straße.

Doch bevor vor 60 Jahren der Klavierspieler loshämmern konnte mit "Lebender Musik", sahen sich die Paare nur per Distanz: Die Damen auf der einen Seite des Saals, die Herren auf der anderen, so erwartete man (Frau) die Aufforderung zum Tanz. Ebenso großgeschrieben wie graziösen Bewegungen waren die Regeln über Anstabds und Umgangsformen. Wie stellt man sich vor? Wie sitzt der Herr von Welt an einem Tisch? Wer reicht zuerst die Hand, Dame oder Herr?
Die Kleidung des Herrn bestand aus dunklem Anzug mit Schleife oder Krawatte. Für die Tänze waren weiße Handschuhe vorgeschrieben, um feuchte Fingerabdrücke auf den hellen Kleidern der jungen Damen auf jeden Fall zu vermeiden.
Körperbeherrschung und Eleganz, Freude an der Bewegung und Lust über das Parkett zu gleiten und dabei aller Blicke auf sich zu ziehen - so gelangt Lebensfreudigkeit und Freude von innen nach außen. Musik öffnet das Herz für neue Eindrücke. Gemeinschaft und gleichzeitig Wettbewerb der Tanzsport begeisterten vermittelt Freude und - mit ein wenig Glück - einen Partner fürs Leben.
Hans Hegenscheidt lernte seine zukünftige Ehefrau Lucia Zorn auf einen Kongress für Tanzlehrer im Jahr 1926 kennen. Sie ist die Tochter des königlichen Solo-Tänzers der Berliner Staatsoper, Otto Zorn. 1928 wurde die Villa Hegenscheidt in der Albrechtstraße 112 als Stammsitz bezogen.
Durch die Kriegsereignisse wurde ab 1942 das Tanzen offiziell verboten. Unmittelbar nach Kriegsende nahm Lucia Hegenscheid den Unterricht im "Cafe Elefant" wieder auf. Da ihr Mann ums Leben gekommen war, musste sie nun allein Schritte und Drehungen beibringen. Die Musik kam Vom Plattenspieler - blieb während der Sperrstunde der Strom weg, musste jemand "nudeln".

Nach dem Krieg hatten die lateinamerikanischen Tänze wie Boogie, Mambo, Rumba, Cha, Cha Samba, Paso Doble, Jive und Swing sowie Mode- und Party-Tänze Hochkonjunktur. Die Kleidung wurde legerer und war dem Freizeitvergnügen angepasst. Sie leitete die Tanzschule bis 1953. Dann übernahm Horst Hegenscheidt mit seiner Frau Sabine das Geschäft von seiner Mutter. Von 1957 bis 1962 wurden die Kurse und Tanzveranstaltungen im Spiegelsaal des Titania-Palastes durchgeführt. 1963 zog man in eigene Räume im Tanzstudio am Friedruch-Wilhelm-Patz.Seit 1981 sind alle Aktivitäten im Kreisel konzentriert. Der Eingang ist an dessen Rückseite in der Kuhligkshofstraße 4. Dort sind Ihre Füße in den besten Händen.


Reinhard Frede

Bild: Festsaal und Unterrichtssaal Parkrestaurant Südende