100 Jahre
ev. Dreifaltigkeitskirche in Lankwitz
Veröffentlicht in der Steglitzer Heimat 1-2006
Die Einwohnerzahl der Gemeinde
Lankwitz wuchs in der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert ständig.
Die alte Kirche auf der Dorfaue wurde zu klein und genügte den
kirchlichen Bedürfnissen nicht mehr. „Ein Um- oder
Erweiterungsbau scheiterte an dem Einspruch der Behörden, da sich
der Konservator für Altertümer wegen des künstlerischen und
historischen Wertes der alten Kirche dagegen ausgesprochen hatte (Helmstädt)“.
Für den Standtort der neuen
Dreifaltigkeitskirche war die geographische Mitte der Landgemeinde
gewählt worden. Am Rande der Gemeinde hatten sich Siedlungen
gebildet, die zusammenwachsen sollten. Im Westen lag das
Rosenthalsche Villenterrain (heute Komponistenviertel), im
Südwesten das Zietemannsche Viertel um die Zietemannstraße (ab
1895 Zietenstraße) und im Süden das Knaaksche Terrain (heute
Thüringer Viertel). Nach dem Bau der Dreifaltigkeitskirche
verlagerte sich die Ortsmitte vom Dorf mit seiner alten Dorfkirche
zur Kreuzung der Kaiser-Wilhelm-Straße Ecke Viktoriastraße (Leonorenstraße),
heute „Lankwitz Kirche“ genannt. Um 1900 aber lag der Bauplatz
für die neue Dreifaltigkeitskirche noch an Bauernfeldern, die lange
nicht bebaut wurden.
Errichtet wurde die
Dreifaltigkeitskirche nach den Entwürfen des Geheimen
Regierungsbaurates Ludwig von Tiedemann in den Jahren 1903 bis 1906.
Am 26. Juni 1904 wurde der Grundstein gelegt, nachdem schon am 22.
Oktober 1903, dem Geburtstag der Kaiserin Auguste Viktoria, mit dem
Bau begonnen worden war. Am 11. Juni 1906 fand in Gegenwart des
Prinzen August-Wilhelm von Preußen die Einweihung statt. Die
Gesamtkosten des Bauwerkes betrugen 287.500 Mark, von denen von der
königlich-preußischen Regierung 112.500 Mark, vom Konsistorium der
evangelischen Kirche 12.000 Mark und von der Gemeinde Lankwitz
40.000 Mark aufgebracht wurden. Die Gemeinde Lankwitz stellte auch
das Grundstück zur Verfügung, und der Gemeinderat nahm ein
Darlehen auf für die fehlenden Beträge. Fenster und Glocken wurden
von der Gemeinde gestiftet.
Die Kirche repräsentiert den
märkischen Baustil des 15. Jahrhunderts. Ihre Fundamente sind bis
zu den Fenstern aus Rüdersdorfer Kalkstein, weiter oben sind
märkische Backsteine im Klosterformat verwendet, und das Dach ist
mit Ziegelsteinen, sogenannten Mönchen und Nonnen, gedeckt worden.
Die Kirche hat etwa 900 Sitzplätze und ist mit Dampfheizung und
elektrischer Beleuchtung ausgestattet. Die 3 Glocken und das
Orgelwerk werden elektrisch angetrieben. Altar, Kanzel und
Orgelgehäuse weisen vorzügliche Arbeiten in Mosaik, Malerei und
Holzschnitzerei auf. Die bunten Fenster dämpfen das Licht und
erzeugen eine Atmosphäre andachtsvoller Sammlung. Der gewaltige
Turmbau erhebt sich auf einer Anhöhe. Die Turm-spitze besteht aus
einer achtseitigen Pyramide. Sie wird von 4 kleinen Rundtürmen
flankiert und trägt auf ihrer Spitze ein Kreuz. Die Kirche ist etwa
60 m hoch. Eine Sakristei und eine kleine Halle, die als
Versammlungsraum genutzt wird, sind angebaut.
Die Entscheidung des Gemeindekirchenrates, eine neue Kirche in
Lankwitz zu bauen, bestätigte sich durch die
Bevölkerungsentwicklung des Ortes nachträglich; in den Jahren 1890
bis 1900 hatte sich die Einwohnerzahl von 2.102 auf 4.111
verdoppelt. Sie stieg im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts auf
10.060 an; bei Ausbruch des 1. Weltkrieges hatte Lankwitz schon
11.500 Einwohner.
In den Kriegsjahren betreute Pfarrer
Hugo Schacht mit Jungen und Mädchen aus der Gemeinde die
Verwundeten in den umliegenden Lazaretten. Am 4. Juni 1917 wurden
die 3 Glocken der Kirche abgehängt und eingeschmolzen. Im Juni 1918
wurde Max Branig zum neuen Gemeindepfarrer gewählt; er wurde
später von den Pfarrern Oskar Göhling und Johannes D. Hänel
unterstützt, der von Pfarrer Johannes Ehrich 1924 abgelöst wurde.
Ehrich wurde in den Jahren nach 1933
zum schärfsten Antipoden Branigs; denn die Gegensätze zwischen den
Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche brachen auch in der
Lankwitzer Gemeinde frühzeitig aus. Branigs wöchentliche
Bibelauslegungen im markig-militärischen Stil - die
Dreifaltigkeitskirche war zugleich Garnisonskirche - wurden in der
Presse gedruckt und stellten unverhohlen politische Kommentare dar.
Sie mussten von dem preußisch-konservativen Ehrich, der so ganz der
überwiegend deutschnationalen Gesinnung seiner Gemeinde entsprach,
als ein „Hineinregieren in die Kirche“ verstanden werden. Ehrich
lehnte eine nationalsozialistische Staatskirche entschieden ab und
sammelte um sich eine Gruppe von Gemeindemitgliedern und
Mitarbeitern, die zum Zentrum der Bekennenden Kirche in Lankwitz
wurden. Von der Geheimen Staatspolizei verfolgt und oft unter
Hausarrest gestellt, arbeitete die Gruppe dennoch im Widerstand,
half manchem Gefährdeten, Unterschlupf zu finden, verschaffte ihnen
Lebensmittel und gab Beistand und Trost. Trotz erheblicher
Schikanen, denen Ehrich ausgesetzt war - ihm wurde die Kirche
versperrt, so dass er in Notquartiere, meistens in Lehmanns
Festsäle (heute Standort der Kreuzkirche) ausweichen musste -,
konnte er die seelsorgerische Arbeit mit Bibelabenden in Frauen- und
Männerkreisen fortsetzen. Gemeindemitglieder berichten, dass sie
oftmals aus den Fenstern springen mussten , um vor der Gestapo zu
flüchten. Als Ehrich zum Text "Niemand kann zwei Herren
dienen" predigte, wurde ihm dies als Aufwiegelung gegen den
Führer ausgelegt, und er wurde in der Zentrale der Geheimen
Staatspolizei in der Prinz-Albrecht-Straße 8 mehrere Tage verhört.
Ehrich, der alle „Angebote“ der Offizialkirche zurückwies,
überlebte die Jahres des Terrors und starb 1972 im Alter von 80
Jahren in Lankwitz.
In der Nacht zum 24. August 1943
wurde Lankwitz durch einen Bombenangriff zu 85 % zerstört, auch die
Dreifaltigkeitskirche und die Gemeindehäuser wurden schwer
beschädigt. Die Turmspitze stürzte brennend herab, der steinerne
Turm blieb und wurde zum Symbol für eine kommende friedfertige
Zeit. In der Bombennacht flüchteten die Menschen, die sich aus den
eingestürzten Kellern herausquälen konnten, im Feuersturm und
beißenden Qualm auch in den Gemeindepark. Dort geschah
Merkwürdiges: Orgeltöne erklangen! Die nach Atem ringenden
Hockenden fragten sich im Krach der Bomben und einstürzenden
Mauern: „Wer spielt denn jetzt unsere Orgel?“ Es war etwas
Tröstliches. - Musikkundige meinen heute; die aufströmende
Brandluft in der Kirche könnte die Orgelpfeifen zum Klingen
gebracht haben.
Am Ende des 2. Weltkrieges hatte
Lankwitz von zuvor 30.000 nur noch 10.000 Einwohner. Die vielen
Obdachlosen und Flüchtlinge wurden mit Hilfe der Inneren Mission im
Gemeindehaus mit Essen und Kleidung versorgt. Hier wurde für 500
Menschen gekocht, hier wurden die Kranken ärztlich versorgt. Die
Gemeinde aber war in zwei Lager gespalten. Erst 1951 ließen sich
die grundlegenden unterschiedlichen Positionen und Denkweisen in der
Gemeinde, die sich in den Pfarrern Branig und Ehrich
personifizierten, so weit oberflächlich glätten, dass die Gemeinde
mit Hilfe des Vereins „Freunde der evangelischen Kirche in
Lankwitz“ den Wiederaufbau der Dreifaltigkeitskirche beginnen
konnte.
Zuerst erfolgte die Wiedereinweihung
der Kirche, später die der Lutherkapelle auf dem Friedhof, der
Kreuzkapelle im Gemeindehaus und 1959 des Paul-Schneider-Heims. Der
Abbau des Hochaltars wird insbesondere von auswärtigen ehemaligen
Gemeindemitgliedern bedauert: „Es ist nicht mehr meine Kirche!“
1960 wurden auch der Kinderhort und Kindergarten in einem
neuerbauten Geschäftshaus an der Kaiser-Wilhelm-Straße fertig.
Außer den Gottesdiensten finden Konzerte und andere kulturelle
Veranstaltungen in der Kirche und im Gemeindehaus statt, ein Versuch
der Gemeinde, sich auch anderen Konfessionen zu öffnen.
Im März 1985 wurde ein Café mit
Namen „Sammeltasse“ von der Lankwitzer Diakoniestation in dem
kircheneigenen Geschäftshaus eröffnet, danach die
Gerontopsychiatrische Tagesstätte „Wintergarten“,
Begegnungsorte, in denen Ehrenamtliche und Sozialarbeiterinnen
gemeinsam wirken. Über 30 Gruppen zählt die Gemeindezeitung „Lankwitz
Kirche“. Betreut wird die Dreifaltigkeitskirche von den
Pfarrerinnen Gisela Kraft und Barbara Manterfeld-Wormit sowie von
Pfarrer Rolf Tischer.
Wolfgang Friese
Quellen:
Arbeitskreis Historisches Lankwitz "Chronik Lankwitz",
Berlin 1989
Karl Helmstädt "Lankwitz. Geschichtliches in Wort und Bild aus
Vergangenheit und Gegenwart", Lankwitz 1911.
Berichte Lankwitzer Bürger
Gemeindezeitung „Lankwitz Kirche“
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